Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/453

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

erst recht durch seine Kraft geworden sind. Wohl wird gepredigt, daß Gott zu dem, was er gebietet, auch die Kraft reicht; aber er reicht diese Kraft nur denen, die seine Kinder sind; nur die können, was er gebietet, thun, welche seines Geistes und seiner Kraft voll sind. Die Kraft zur Gesetzeserfüllung kommt nicht vom Gesetz, sondern

 vom Evangelium. Davon haben wir zu reden. Das Evangelium predigt uns von einem Helfer außer uns, es lehrt uns nicht einen Forderer, der Gott heißt, und einen Geber der Mensch heißt, sondern umgekehrt, es predigt von einem gnädigen Rathschluß Gottes über die Sünder, von Christo, dem Sohne Gottes, der nach seinem verdienstlichen Leiden Gaben empfangen hat für die Menschen, auch für die Abtrünnigen, − der, im Besitze aller Gaben des Geistes, allen zuruft, die das Gesetz mühselig und beladen gemacht hat: „Kommt her zu mir, ich will euch erquicken!“ − um deßen willen, in deßen Namen Vergebung der Sünden allen Völkern gepredigt werden sollte, anfangend von Jerusalem, − in dem man alle Fülle, Gnade um Gnade haben kann. Diese Botschaft ist gemacht, Unruhe zu stillen und Herzen fröhlich zu machen. Sie hat einen einzigen Grund, der aber, Gott Lob! unhaltbar ist, um deß willen sie von manchen nicht geglaubt wird, nemlich weil sie zu gnädig, zu unverdient, zu beschämend ist. Da steht der ausgehungerte, verlorne Sohn, seiner Anwartschaft auf ewige Strafen voll, und der soll nun umsonst, um JEsu willen, durch Ihn, der Gott und Mensch ist, durch Seines Leidens und Sterbens, durch Seines Lebens Macht alles bekommen, deßen er sich verlustig gemacht hat, − seine höchsten Wünsche und Bedürfnisse sollen erfüllt, immer vollkommener, endlich vollkommen und ewig erfüllt werden. Welch eine Botschaft! Viele Botschaften kann man fröhlich nennen. Aber weißt du eine, die fröhlich, wie diese wäre? Was hat denn der Mensch zu fürchten, der nicht mehr die Sünden und deren Folgen und Strafen zu fürchten hat? Was in der Zeit, was in der Ewigkeit? Wahrlich, wer diese Botschaft glauben kann, der hat keine Gefahr mehr von irgend einer Creatur, keine mehr von Gott, − der hat Frieden auf Erden, wie die Himmlischen im Himmel!

 Aber freilich glauben muß man das Evangelium, als auf eine göttliche, unwiderrufliche, standhaltige Botschaft muß man sich drauf bauen und verlaßen können. Kann man das, so muß solcher Glaube, solches Vertrauen, wie neue himmlische Kraft in die Seele dringen, sie beleben und stark machen in Liebe und Dank, alle Absichten unsrer Handlungen, alle Grundsätze des Lebens ändern. Da muß man freilich Gott geneigt werden und Liebe spüren. Da muß man sich auf einmal das Räthsel des Gesetzes lösen können, und in heiliger, liebevoller Freiheit, nicht mehr um des Befehls willen, nicht mehr zwangsweise muß dann je länger je mehr der Spruch an uns wahr werden: „Nach deinem Siege wird dir dein Volk williglich opfern im heiligen Schmuck!“ Das Leben wird Liebe, Liebeskampf, Gottesdienst, und die Heiligung beginnt. − So kommt denn alles nur auf den Glauben an. Er ist neuen Lebens Quelle. So ists! So bewährt sichs. Sieh nur hinein ins 11. Cap. an die Ebräer, du wirsts finden, von des Glaubens Kraft wird alle Tugend hergeschrieben. Alle Kinder Gottes reichen dar in ihrem Glauben Tugend.

 Den Glauben aber zu bekommen, sorge nicht, mein Freund. Der Weg zu ihm ist gebahnt. Der Glaube kommt aus der Predigt, die Predigt durchs Wort Gottes. Weil sie durchs Wort Gottes kommt, so ist sie der Kräfte des Worts voll und wirkt in dir mit göttlichen Kräften den Glauben. Die Predigt von dem, an den wir glauben, von dem, was wir glauben sollen, ist nichts anderes, als das Mittel, in unsern Seelen das heilige Vertrauen zu dem, an den wir glauben sollen, die Zuversicht auf das, was wir glauben sollen, zu wirken. Sie ist ein Feuerruf, der anzündet, woselbst er erschallt. Sie ist ein Leben und schafft Leben. Darum höre nur die Predigt des Evangeliums. Komm nur ehrerbietig. Sei ganz Ohr − und erfahre, wie von Hoffnung zur Sehnsucht, von der Sehnsucht zu immer größerer Erfüllung des Glaubens du geführt wirst, wie du, aus einer Anfechtung nach der andern erlöst, immer mehr auf die Höhen der Freiheit der Kinder Gottes gelangst. Zweifle nicht − die Hungrigen werden gespeist von dem reichen Gott und, wie Schnee und Regen nicht spurlos und wirkungslos fallen, so kann, so kann Sein Wort nicht wirkungslos − und du, wofern du es hörst, nicht ohne Frieden, nicht ohne Freude, nicht ohne Liebe und Liebeswerke bleiben.

 3. Der Erfolg scheint dem zu widersprechen, was ich gesagt habe. Weder merkt man so häufige

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/453&oldid=- (Version vom 24.7.2016)