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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Gott und Mensch in Einer Person − und eine solche Person vollbringts, das große, Menschen unmögliche Werk, − die Werke einer solchen Person sind vollkommen und allmächtig und ewiger Dauer in allen ihren Folgen. Uebernimmt Er die Büßung unsrer Sünden, so werden sie überwunden und vertilgt; nimmt Er unsre Strafen auf Sich, so werden sie vollkommen abgebüßt; erwirbt Er Vergebung, so ist es zweifelsohne eine ewige Vergebung; erarnet Er eine Gerechtigkeit uns zum Geschenke, so ist es gewis eine vollkommene ewig währende Gerechtigkeit; überwindet Er Tod und Hölle und Teufel, so sind es gewis leere Schrecken, die uns von unsern Feinden übrig bleiben. Kurz, wo der Gottmensch eintritt, da ist für die Menschen gute Hoffnung, Hoffnung für die Sünder, Hoffnung für alle Sünder. Und Er ist eingetreten, Er hat vollendet, Er hat gesiegt, denn unser Evangelium zeigt uns drittens den Gottmenschen in angefangenem und immer fortwährendem, ununterbrochen zur Vollendung eilendem Triumph zur Rechten des Vaters sitzend, zeigt uns zu Seinen Füßen ein Getümmel Seiner Feinde, das Seine Ruhe nicht stört, das im Gegentheil durch Seine Macht zum Ende und zu einer ewigen Stille kommt. Seine Feinde − wer sind sie denn? Unsre Feinde, die Feinde der Menschheit, das sind Seine Feinde auch. ER hat keinen einzigen Feind, der nicht zugleich auch Feind der Menschheit wäre − und umgekehrt. Was für eine Aussicht haben wir also, wenn wir nicht zu Seinen und der Menschheit Feinden gehören? Eine Aussicht ewigen Sieges, eine Aussicht, zu Seinem Triumph, zu Seiner Ruhe hindurchzukommen, − eine Versicherung, daß uns nichts, was uns anficht, fällen soll, eine Versicherung, daß die Sünden, die wir verschuldet, die Strafen, die wir verwirkt, die Welt, die uns verhöhnt, der Satan, der uns zu gewinnen sucht, − nicht und nimmer, nimmermehr unser habhaft werden solle. Da können wir trotz unsers angstvollen, bangenden Herzens doch hindurchdringen und einmal frei, ewig frei werden von allem Ungemach und selig in himmlischem, ewigem Frieden.

 Das ist ER. Merkt ihrs nicht? Wahrlich, das ist Evangelium! Behaltet es wohl, meine Lieben! Behaltet es wohl! Glaubet nicht einem jeglichen Geiste, sondern prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind! Daran sollt ihr den Geist Gottes erkennen: „Ein jeglicher Geist, der da bekennet (gemäß unserm Text), daß JEsus Christus ist in das Fleisch gekommen (und Mensch geworden von Davids Samen), der ist von Gott. Und ein jeglicher Geist, der da nicht bekennet, daß JEsus ist in das Fleisch gekommen, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Widerchrists, von welchem ihr habt gehört, daß er kommen werde und ist schon jetzt in der Welt (1. Joh. 4, 1–3.). Ja, wer ist ein Lügner, ohne der da leugnet, daß JEsus der Christ sei? Das ist der Widerchrist, der den Vater und den Sohn leugnet“ (2, 22). − Wir aber glauben an den Vater und an den Sohn, wir glauben, daß der Sohn gekommen ist ins Fleisch, daß er Mensch geworden ist, daß dieser Gottmensch der Christ, der König sei, der alles überwunden hat, den Gott eingesetzt hat auf dem heiligen Berge Zion, um den vergeblich die Heiden toben, der einst mit ihnen in Seinem Zorne reden und in Seinem Grimme sie schrecken wird! Er schone, Er schone uns dann!


 2. Zwar handelt das Evangelium in ausgesprochenen Worten mehr von dem Inhalte des Gesetzes und Evangeliums − und von der Wirkung und dem Gebrauche beider spricht es nicht. Aber indem es uns in den Pharisäern Kinder des Gesetzes vor Augen stellt, Leute, wie sie sich vor unsern Augen ohne Unterlaß bewegen, erinnert es uns an Wirkung und Gebrauch genug. Und wenn es auch gar nicht von Wirkung und Gebrauch redete, wäre es doch jeden Falls für uns alle sehr nützlich, ja nöthig, davon zu reden.

 Die Wirkung des Gesetzes ist eine gedoppelte, gleich dem Inhalte des Gesetzes. Es gebietet Aeußeres und Inneres. Das Aeußere zu beginnen, steht in der Wahl des Menschen, und wenn er von der gütigen Vorsehung begünstigt wird durch Sonnenschein und Regen und durch Abhaltung der Hindernisse, so kann er manches augenfällige Werk vollbringen. Ein Mensch kann die äußere Abgötterei, den Fluch und Schwur des Mundes, äußere Sabbathsschändung unterlaßen. Man fand und findet Heiden und unbekehrte Leute, welche äußerlich das vierte Gebot an ihren Aeltern und Kindern vollbringen, hilfreich und nachbarlich, treu und nützlich, stille und verschwiegen sein können. Man erzählt große Dinge, zu denen sich die natürliche Kraft der Heiden und Unbekehrten hinaufgesteigert hat. Aber das alles ist, wie gesagt, nur äußerlich −

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/451&oldid=- (Version vom 24.7.2016)