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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Spricht Er auch „Weine nicht“ und weckt die Todten auf und macht unsre Leichentage zu Freudentagen? Ich antworte nein; ich behaupte aber auch, daß ich meine seligen Todten nicht auferweckt wünsche, wie den Jüngling von Nain. Schon wenn ich an schweren Krankenbetten meiner Pfarrkinder stehe, von denen ich weiß, daß sie wohl sterben können, kommt es mich hart an, die Hände zum Gebete um Genesung aufzulegen. Wer dem Tode so nahe ist, so bald überwunden haben könnte, so bald daheim sein bei dem HErrn und Seinen Heiligen, scheint mir keine Wohlthat zu erfahren, wenn er umkehren und genesen wieder eintreten muß ins eitle Leben, um dermaleins doch wieder zu kranken und zu sterben. Und ich sollte, weil mein Herz sich sehnt und gerne bei den Abgeschiedenen wäre, wie sonst, sie wiederauferweckt haben, aus dem Triumph in den Streit zurückgestellt wißen wollen, wo sie die Krone, welche sie schon haben, wieder verlieren könnten? Das sei ferne. Ich will mich gedulden, ich will fein bald meine eigene Hütte ablegen und heimgehen zur ewigen Freude, da wird meine Seele alle Gottesheiligen finden von Adam bis zum letztverstorbenen Täufling − und schnell, ja schnell wird unter ewigen Seelenfreuden der Tag kommen, der auch leiblich alle Söhne ihren Müttern wiedergibt und ohne zweites Sterben uns die Freude bereitet, uns mit unsterblichen Augen am ewigen Glanz der Leiber unserer Abgeschiedenen zu weiden. Bis dorthin sparen wir die Freuden. Da werden sie größer sein, als die der Wittwe von Nain.

 Eins alleine ist es, was ich sorge und begehre, daß wir nur alle die Stunde eines guten Todes finden. Dann ist das Uebrige alles gut. Wir haben für Freude, Wiedersehen und Wiederhaben nicht zu sorgen, wenn wir selig werden. Aber dafür, daß wir selig werden, laß uns sorgen, das laßt uns schaffen mit Furcht und Zittern. HErr JEsu! Amen.




Am siebzehnten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Luc. 14, 1–11.
1. Und es begab sich, daß Er kam in ein Haus eines Obersten der Pharisäer, auf einen Sabbath, das Brot zu eßen; und sie hielten auf Ihn. 2. Und siehe, da war ein Mensch vor Ihm, der war waßersüchtig. 3. Und JEsus antwortete und sagte zu den Schriftgelehrten und Pharisäern und sprach: Ist es auch recht, auf den Sabbath heilen? 4. Sie aber schwiegen still. Und Er griff ihn an, und heilete ihn, und ließ ihn gehen, 5. Und antwortete und sprach zu ihnen: Welcher ist unter euch, dem sein Ochse oder Esel in den Brunnen fällt, und er nicht alsobald ihn heraus zieht am Sabbathtage? 6. Und sie konnten Ihm darauf nicht wieder Antwort geben. 7. Er sagte aber ein Gleichnis zu den Gästen, da Er merkte, wie sie erwählten oben an zu sitzen, und sprach zu ihnen: 8. Wenn du von jemand geladen wirst zur Hochzeit, so setze dich nicht oben an, daß nicht etwa ein Ehrlicherer, denn du von ihm geladen sei; 9. Und so dann kommt, der dich und ihn geladen hat, spreche zu dir: „Weiche diesem“! und du müßest dann mit Scham unten an sitzen. 10. Sondern wenn du geladen wirst, so gehe hin und setze dich unten an, auf daß, wenn da kommt, der dich geladen hat, spreche zu dir: „Freund, rücke hinauf.“ Dann wirst du Ehre haben vor denen, die mit dir zu Tische sitzen. 11. Denn wer sich selbst erhöhet, der soll erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedriget, der soll erhöhet werden.

 DAs Gastmahl des Pharisäers ein Bild der Welt und der Kirche:

 Dieß ist der Inhalt des heutigen Evangeliums.


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/442&oldid=- (Version vom 24.7.2016)