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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und führt uns in Erkenntnis unserer Sünde, in der Demuth, der erstgeborenen Tugend des erlösten Sünders, zu der Genüge, die man in Christo hat. HErr, leite uns also! HErr, bewahre uns auf Deinem Wege! HErr, stärke uns den Glauben um JEsu willen! Amen.




Am vierzehnten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Luc. 17, 11–19.
11. Und es begab sich, da Er reisete gen Jerusalem, zog Er mitten durch Samaria und Galiläa. 12. Und als Er in einen Markt kam, begegneten Ihm zehn aussätzige Männer, die standen von ferne, 13. Und erhoben ihre Stimme und sprachen: JEsu, lieber Meister, erbarme Dich unser! 14. Und da Er sie sahe, sprach er zu ihnen: Gehet hin und zeiget euch den Priestern! Und es geschah, da sie hingiengen, wurden sie rein. 15. Einer aber unter ihnen, da er sahe, daß er gesund geworden war; kehrete er um und pries Gott mit lauter Stimme. 16. Und fiel auf sein Angesicht zu Seinen Füßen und dankte Ihm. Und das war ein Samariter. 17. JEsus aber antwortete und sprach: Sind ihrer nicht Zehn rein geworden? Wo sind aber die Neune? 18. Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrete und gäbe Gott die Ehre, denn dieser Fremdling? 19. Und Er sprach zu ihm: Stehe auf, gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen.

 VOn dem barmherzigen Samariter handelte das vorige Evangelium, von einem dankbaren Samariter das heutige. So bringt der HErr die Namen der Verachteten zu Ehren. Wir wollen am heutigen Tage von Dank und Undank sprechen und zwar:

1. von dem, was Dank und Undank sei,
2. von des Dankes Herrlichkeit und der Abscheulichkeit des Undanks,
3. von der Ursache zum Danke, die wir haben, welche zugleich die größte Hinderung des Undanks sein sollte;
4. von der bedauerlichen Seltenheit des Dankes und der Häufigkeit des Undanks.

 1. Was Dank und Undank sei, ist nicht mit vielen Worten abzumachen, wird nur wie eine Einleitung zu dem Nachfolgenden erscheinen. Dank kommt von denken her und ist nichts anders, als ein Bedenken oder Gedächtnis empfangener Wohlthaten. Wem Wohlthaten, die er empfieng, nicht im Gedächtnis bleiben, deßen Gedächtnis fehlt die Heiligung, gleichwie dem Gedächtnis die Demuth fehlt, aus welchem begangener Sünden Schuld so leicht verschwindet. Alles kannst, darfst du leichter vergeßen, als deine Schuld − und fremde Huld, welche dir in Wohlthat und Gabe zu Statten kam. Gedächtnis des Christen ohne Dank und Buße ist ein leerer Name. Der Samariter im Evangelium gedenkt der ihm vom HErrn erzeugten Wohlthat, drum ist er dankbar. Die andern Neune vergeßen der empfangenen Wohlthat, drum sind sie undankbar. Du könntest freilich sagen, du glaubest nicht, daß die andern die ihnen erzeigte Wohlthat eigentlich vergeßen haben, und in einem gewissen Sinne mag ich einer solchen Einwendung nicht viel widerstehen. Daß die Undankbaren nicht auf Befragen oder auch sonst gewußt haben sollen, wem sie ihre Reinigung schuldig waren, wäre eine Thorheit, zu behaupten. Aber es ist eben Gedächtnis und Gedächtnis verschieden. Gedenke einer Wohlthat, thue es aber bloß mit dem Kopfe und nicht auch mit dem Herzen, erkenne nicht zugleich den Werth und die Wichtigkeit der Wohlthat für dich und dein Leben, − und mehr, erkenne die Liebe nicht, welche die Hand zur Wohlthat leitete; so bist du undankbar, auch wenn du die einzelnsten Umstände der Wohlthat angeben könntest. Der Dank ist deshalb ein Gedächtnis des Herzens, und eine Vergeßlichkeit des Herzens rücksichtlich erfahrener Lieb und Wohlthat

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 087. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/426&oldid=- (Version vom 24.7.2016)