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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Ordnung des Heils. − Das Wort der Predigt, das thut es! Zwar in diesem Gleichnisse spricht der HErr nicht davon, und auch wir wollen es jetzt nicht weit ausstreichen. Aber an viel hundert andern Stellen sagt ER’s, Seine Propheten, Seine Apostel, − und oft, oftmals haben auch wirs an dieser Stätte wiederholt, daß das Evangelium Tröstung wirkt für die, auf welche das Gesetz Schrecken ergoß!

 Doch halt! Vom Evangelium laßt uns doch noch ein Wort reden, denn zum Evangelium gehört es. Was urtheilt denn der HErr vom Zöllner, der sich selbst verurtheilt? Ich frage nicht: was urtheilt der HErr vom Pharisäer; das Gleichnis sagt das nicht, obgleich sich Gottes Urtheil in stummer Sprache aus dem Zusammenhange deutlich genug ergibt. Es ist nicht nöthig, daß man sich vom Urtheil Gottes über den Pharisäer weiter bespreche. Aber es mehrt, es macht vollkommen unsre Freude, wenn wir das Urtheil des HErrn über den bußfertigen Zöllner vernehmen. „Ich sage euch,“ beginnt der HErr. Er sage uns Sein Urtheil. ER ist der wahrhaftige Richter, in deßen Allmacht alles, nur keine Lüge, nur nichts Böses steht. Er sagt vom Zöllner: „er gieng gerechtfertigt hinab vor jenem.“ Faßet es wohl, meine Lieben! Es heißt nicht geradezu: „Er gieng hinab gerechtfertigt“; so weit war’s mit dem Zöllner, wie es scheint, noch nicht. Es heißt nur: „Er gieng hinab gerechtfertigt vor jenem, vor dem Pharisäer,“ d. i. Gottes Urtheil über ihm war günstiger, als über dem Pharisäer, weil er in der That der beßere und heiligere war. Denn wenn man fragen wollte, wer war beim Beten im Tempel heiliger, der Pharisäer oder der Zöllner, so müßten wir sagen: „der Zöllner,“ denn der Pharisäer hatte gar keine Tugend, aber der Zöllner war wahrhaftig nach Erkenntnis, Willen und Gefühl, − er war in demüthiger Wahrheit und in der wahren Demuth, welche für gefallene Wesen die einzig mögliche ist, er war in der Demuth eines sein ganzes Wesen durchdringenden Selbstgerichtes. Aber darum rechtfertigte ihn der HErr nicht, das nahm ja seine vorige Sünde nicht weg, so wie die Genesung die vergangene Zeit der Krankheit nicht austilgt. Es war der Geist der Rechtfertigung, der ihm zu dem empfänglichen, demüthigen, hungrigen Sinne verholfen hatte, aber noch war die Rechtfertigung nicht vorhanden. Die Rechtfertigung ist eine Gnade, − aber nicht die erste. Die Erkenntnis der Sünde, wie sie der Zöllner hat, ist Leben aus Gott, nur noch nicht das Leben des Gerechtfertigten. Aber wer Erkenntnis der Sünden hat, der geht der Rechtfertigung der Sünden entgegen. Wer da hat, dem wird gegeben; − wer Reue hat, dem kommt Friede, − wer sich selbst richtet, dem zeigt der HErr, daß er aus dem Gerichte genommen ist, − wer sich und seine Feindschaft wider Gott erkennt, der wird mit der Botschaft eines ewigen Friedens getröstet. Die Welt erkennt das nicht. Sie hat, wie wir sagten, einen andern Begriff von Tugend und läßt keinen selig werden, als wer ihn mit ihr theilt. Sie erkennt keine Rechtfertigung, keine Freisprechung der Reumüthigen; sie vergibt nicht; ihr bleiben heillos, die ehedem gottlos waren, und wenn sie im Staube winseln. Pharisäer spricht sie heilig, reumüthige Sünder nimmt sie nicht in ihren Himmel. Aber das Urtheil der Welt hat auch für niemand Bedeutung, − als allein für sie, − eine schreckliche Bedeutung, das sieht man am Pharisäer, denn er urtheilte von sich das Gegentheil vom Urtheil des Richters. Trotz dem Schelten der Welt, die keinem Sünder, auch keinem reumüthigen, die Seligkeit mehr als möglich zeigt, spricht doch Christus immerfort noch, wie einst, in Seinem Worte von dem reumüthigen Zöllner: „er gieng gerechtfertigt hinab vor jenem etc.“ Trotz des neidischen Geschreis der Pharisäer: „Dieser nimmt die Sünder an,“ antwortet doch die Gemeinde der erlöseten Sünder mit einem heiligen, lauten Echo: „JEsus nimmt die Sünder an.“ Trotzdem, daß alle Pharisäer sich selbst und ihres Gleichen loben und gerecht sprechen, ist’s doch leider, ach leider für die Pharisäer, gewis, daß keiner, der sich selbst rechtfertigt, von dem HErrn gerechtfertigt hinabgeht.

 Wer sich erhöhet, der wird erniedrigt werden.“ Der Pharisäer dachte nicht daran, daß er sich ohne Ursach erhöhe; er glaubte in seinem Gebete nur Wahrheit zu sprechen. Er vergaß, bei dem, was er sagte, die Demuth zu Rath zu ziehen, und den Hochmuth auszuschließen. Wahrheit in Hochmuth gesprochen ist Lüge und Selbsterhöhung, auch wenn sie mehr umfaßte und besagte, als im Munde des Pharisäers. Hochmuth macht alle Tugenden, auch die Wahrheit, auch das Dankgebet zur Sünde. Hochmuth erhöht drum nicht wahrhaftig, es sei denn, daß

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 075. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/414&oldid=- (Version vom 17.7.2016)