Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/401

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

man bei JEsu ist, vorwärts soll es gehen. Insonderheit seid milde gegen eure Brüder, ihr Reichen, ihr Armen; denn auch der Arme kann in hundert Fällen gegen andere hart sein, also auch milde. Vorerst aber, ihr Reichen und Armen, seid gerecht! Laßet und gebet einem jeglichen das Seine! − Und wenn euch über dem Werke eurer Heiligung zuweilen die Hand sinken, oder der Fuß straucheln will, so hebt eure Augen auf und sehet vorwärts und aufwärts − und die herrliche Stunde der Aufnahme in die ewigen Hütten, der Blick vorwärts in sie hinein mache euch wieder fröhlich und getrost, geduldig und stark, in guten Werken zu trachten nach dem ewigen Leben!

Amen.




Am zehnten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Luc. 19, 41–44.
41. Und als Er nahe hinzu kam, sahe Er die Stadt an und weinte über sie. 42. Und sprach: wenn du es wüßtest, so würdest du auch bedenken zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dienet. Aber nun ist es vor deinen Augen verborgen. 43. Denn es wird die Zeit über dich kommen, daß deine Feinde werden um dich und deine Kinder mit dir eine Wagenburg schlagen, dich belagern, und an allen Orten ängsten; 44. Und werden dich schleifen und keinen Stein auf dem andern laßen; darum, daß du nicht erkennet hast die Zeit, darinnen du heimgesucht bist etc.[1]

 DIeses Evangelium gibt uns folgende von uns näher zu erwägende Hauptgedanken:

Diese Hauptgedanken des heutigen Evangeliums näher anzusehen und genauer zu erwägen, verleihe uns der barmherzige Gott Seine Gnade! Amen.

 1. Das Evangelium versetzt uns gen Jerusalem und zwar in jenes Thal, wo der Bach Kidron fließt. Da haben wir gegen Abend im Lichte der sich neigenden Sonne die heilige Stadt mit ihrem Tempel, ihrer Herrlichkeit. Gegen Morgen erhebt sich der Oelberg, schön bewachsen mit Oel- und Feigenbäumen. Aus dem Thore kommen Schaaren der Kinder Israel herausgezogen. Vom Berge her rauscht, wie große Waßer, der Hosiannagesang, der aus dem Munde der Jünger und Begleiter JEsu aufsteigt. Näher und näher kommt Er der Stadt. Es ergreift der Geist des HErrn immer mehrere von dem entgegenziehenden Volke. Sie sehen nicht an den Armen, der auf dem Füllen der Eselin friedlich einherreitet, sondern den Gerechten sehen sie, den Seine Feinde keiner Sünde zeihen können, − den Helfer erblicken sie im Ruhm zahlloser Thaten, die ER zum Frommen Seines Volkes vollbracht hat, − sie schauen Ihn in Erinnerung Seiner wunderbaren Reden, die ganz anders, als die Worte der Pharisäer und Schriftgelehrten, das Volk bewältigt hatten. Seine geistige Herrlichkeit erblicken sie. Der Sohn David, der König, welcher kommt im


  1. Luc. 19, 45–48 pflegen an diesem Sonntage mitgelesen zu werden. Um der Textwahl willen, welche dem Verfaßer dieser Postille fürs Reformationsfest die beste schien, blieben sie heute weg, da sie ohnehin für den heutigen Tag unwesentlicher schienen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 062. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/401&oldid=- (Version vom 17.7.2016)