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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Ihm sei ewig dafür Lob gesungen, eine neue Creatur, die da werth ist, als Sein Werk erkannt und gerühmt zu werden.


 Ob ich bei diesem Evangelium den Sinn meines HErrn getroffen habe, indem ich von der Lebensgerechtigkeit der Christen im Allgemeinen sprach, die einzelnen Beispiele mehr zur Seite ließ? − Ich glaubte es wenigstens hoffen zu dürfen, als ich mir vornahm, so und nicht anders zu reden. Aber ich will euch doch gestehen, das ich von dem Einzelnen, was dieser Text enthält, mir eines aufgehoben habe, das ich euch noch sagen muß, das ich weder verschweigen will, noch kann. Es ist das Wort vom Vergeben. Ich habe erst vor ein paar Wochen Gelegenheit gehabt, es auszusprechen, und ich achte es für recht und gut, es hier zu wiederholen: nicht jede Vergebung ist recht und zu loben. Ein Christ vergibt denen, welchen Gott vergibt, und weiß, daß seine Vergebung, wenn sie nicht mit Gottes Vergebung zusammentrifft, nutzlos, und wofern sie derjenige schätzt, dem sie gesprochen wird, sogar verführerisch sein kann. Wir wißen alle, daß nur Gottes Vergebung die Schuld des Sünders aufhebt, unsre Vergebung aber weiter nichts ist, als ein Zeugnis, daß wir nicht zürnen, nicht von Leidenschaft beherrscht sind. So gewis und wahr aber auch das ist, so gering der Werth unsrer Vergebung in Fällen für unsre Brüder sein mag: um unser selbst willen, um des brüderlichen, segensreichen Friedens willen und zur Vermeidung der grauenhaften Folgen des Gegentheils ist es nöthig, daß wir uns Versöhnlichkeit hoch stellen, einander zum Vergeben hoch und ernst vermahnen, einander mit heiligem Beispiel darin vorangehen, und daß sich keiner die Unversöhnlichkeit vergebe, sondern vielmehr der Anfechtung und Versuchung dazu sich mit all der Macht entschlage und entwinde, die ein Christenmensch aus der Fülle Christi für alle seine guten Werke bekommt. Es ist eine gewisse und unumstößliche Wahrheit, daß die Pflicht zu vergeben, wo sie erfüllt ist, den Bergen Hermon gleicht, von denen Segen auf die Berge Zion herniederthaut, und daß gar nichts Gutes gedeiht, wo sie nicht tagtäglich in ihrer Heiligkeit anerkannt und mit allem treuen Gehorsam geehrt wird. Ich kann mir die Mühe ersparen, auf all das Unglück hinzuweisen, das aus einem unversöhnlichen Herzen kommt, zumal ich Einschlägiges schon gesprochen habe. Es ist eine anerkannte Sache, daß es Gottlose sind, die keinen Frieden haben, − daß es schön, lieblich und gesegnet ist, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen. Sind wir aber darin einig, meine Brüder, so sei uns auch der Spruch wichtig: „Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und wirst allda eindenken, daß dein Bruder etwas wider dich habe, so laß allda vor dem Altar deine Gabe und geh zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und alsdann komm und opfere deine Gabe.“ Der Spruch treibe einen jeden, der bis jetzt gezögert hat, zu eilender Friedfertigkeit! Hast du deinen Nächsten beleidigt, so leite eilends die Versöhnung ein; hast du ihn nicht beleidigt, du weißt aber, daß er etwas wider dich habe, so laß dir die Freude doch nicht nehmen, der erste im Gehorsam gegen Christi Friedensgebot zu sein. Eile, eile und sei willfertig deinem Widersacher bald. Sei es allezeit, sei es insonderheit, wenn du zum Opfer gehst.

 Auch du gehst ja zum Opfer? Gehst du denn allein ins Haus des HErrn, um zu hören? Singst du nicht, betest du nicht, dankst du nicht mit der Gemeine, lobst du nicht den HErrn? Und bringst du Ihm nicht auch dein Almosen dar? Legst du nicht auch auf den Altar, in die aufgestellten Schüßeln der Barmherzigkeit zu Gottes Ehren, zum Nutz und Frommen des Nächsten deine zeitlichen Gaben nieder? Versöhnopfer sind es nicht, denn Christus hat mit Einem Opfer in Ewigkeit alle vollendet, die geheiligt werden. Aber Opfer sind es doch eben so gut, als ein Farr, der Hörner und Klauen hat. Die Apostel nennen sie auch so − und es ist drum keine Gleichnisrede, es ist völlige, nüchterne Wahrheit, daß wir dem HErrn in diesem Hause zwar unblutige, aber die wahrhaftigen, geistlichen Opfer des neuen Testamentes darbringen. So gewis nun und wahr das ist, so gewis erleidet der Spruch, den wir aus dem Texte anführten: „Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst“ seine wirkliche Anwendung auf dich: du sollst nicht zum gemeinschaftlichen Opfer der Gemeinde, nicht zu Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung ins Haus des HErrn kommen, bevor du dich versöhnt hast! Du sollst deinen Groschen nicht in die aufgestellte Schüßel, deine Gabe nicht auf den Altar legen, bevor du dein Herz und deine Hand von Zorn und Feindschaft gereinigt hast! Es mag dir neu sein, daß ich den Spruch so wirklich auf dich anwende; aber ich fordere dich auf zu prüfen, ob es nicht

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 044. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/383&oldid=- (Version vom 5.7.2016)