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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Tode, nicht am Ende der Tage − das ist das armselige Bekenntnis einer großen Anzahl von Menschen, die den Namen des Hochgelobten noch zu tragen, noch Christen zu heißen sich nicht entblöden. Sie kennen Ihn nicht. Und sich kennen sie auch nicht. Kenneten sie sich, so würden sie nicht genug an sich haben, so würden sie nicht so reich in sich, so würden sie nicht so selbstgenügsam, so wohl zufrieden mit sich selber sein, sie würden voll Schrecken über ihre Leere, ihre Schwachheit, Thorheit, Bosheit suchen gehen, ob sich einer fände, den sie anstatt ihrer selbst lieben, ehren, fürchten könnten; sie würden suchen − und finden. Aber der Hochmuth hat alles eingeborene Sehnen nach dem Ewigen ertödtet, und die Lebenszeit, die doch eine fortwährende Adventszeit JEsu ist, aller Hoffnung und Erwartung entledigt. Man wartet auf keinen Christus mehr, man hat ohne ihn alles genug, gleich jenen neuen Juden, die sich des großen Fortschritts freuen, auf keinen Heiland mehr hoffen zu müßen. Christus gilt Vielen nichts mehr, was soll ihnen Sein Geburtstag sein? Man freut sich Seiner nicht, wie soll man sich Seiner Geburt freuen? − Ach, es ist traurig, Freunde! Wenn die Zeit kein Advent mehr ist, wenn man des HErrn nicht mehr wartet und nicht mehr Seiner Geburt sich freuen kann: was ist denn das Leben, was der eigene Geburtstag, und was der eigene Todestag! Sind wir nicht für Ihn geboren, weil Er nicht für uns geboren ist, für wen und für was sind wir dann geboren? für was leben wir dann? und was ist dann unser Sterben?

 Wenden wir uns schaudernd von dem Theil der Menschheit weg, der sich alle Freude durch Unglauben raubt und freiwillig verarmt, indem er den HErrn der Herrlichkeit und Sein Reich aufgibt. Wenden wir uns langsam und für denselben betend weg − dem heiligen Johannes und seinen Gleichgesinnten zu, der seligen Schaar vollendeter Knechte und Mägde Gottes, die in JEsu Geburt ewige Freuden fanden, − zu den Gleichgesinnten in der noch streitenden Kirche, die im lieblichen Feste der Weihnachten mehr als ein bloßes Kinderspiel erkennen, die angelegentlich begehren das Dankfest für die Geburt ihres Heilandes zu feiern, die sich mit Johannes vor Ihm niederwerfen und nichts rühmen wollen, als Ihn und Seine Gnade. Was sollen wir thun, Freunde, weil es Weihnachten wird, weil wir das Geburtsfest JEsu mit Seiner Kirche feiern dürfen? Was sollen wir thun? Was können wir thun? Wenn wir uns und alle unsere Habe Ihm darbringen zum Opfer: was ists? Wir sind ja zuvor sein: indem wir uns und was wir haben, Ihm geben, empfängt Er nichts, der ewig reiche Gott, nur wir haben Opferfreuden! Ich will euch sagen, was wir thun wollen. Wir wollen Ihn anbeten von ganzem Herzen und wollen Ihn bitten, daß ER uns armen Bettlern, die wir von Seiner Gnade leben, verleihen wolle, immer gerne Seine Güter, Sein Wort, Sein Sakrament, Seinen Geist − und was Er gibt, zu empfangen. Ja, weil wir Ihm so gar nichts geben können, nichts vergelten, nichts verdanken; so wollen wir anbetend immer nehmen, hier, in der Stunde des Abschiedes, ewig − das wollen wir und das helf ER uns! Wenn wir nur immer nehmen können; das ist zwar demüthigend, aber es ist auch genug zum Seligwerden und Seine Ehre wird damit erhöhet. Geben ist seliger als nehmen − das ist Seine Seligkeit. Unsre ist − immer nehmen. Dazu helf uns der gnädige und barmherzige Herr! Amen.




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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 027. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/38&oldid=- (Version vom 14.8.2016)