Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/357

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

es ist aber noch Raum da. 23. Und der HErr sprach zu dem Knechte: Gehe aus auf die Landstraßen und an die Zäune und nöthige sie, herein zu kommen, auf daß mein Haus voll werde. 24. Ich sage euch aber, daß der Männer keiner, die geladen sind, mein Abendmahl schmecken wird.


 ZUm ewigen Abendmahle zu kommen, wo an der Brust Abrahams der arme Lazarus liegt, ist uns am vorigen Sonntage als höchste Angelegenheit des Menschen dargestellt worden. Wie uns der HErr zu diesem ewigen Abendmahle bringen will, das zeigen uns viele Texte. Das heutige Evangelium aber redet von einem Abendmahle Gottes in der Zeit, welches mit jenem Abendmahle der Ewigkeit zwar nicht eins und dasselbe, aber doch ein Vorhof und Uebergang zu demselben und deswegen wichtig genug ist, um von allen denen mit großem Ernste betrachtet zu werden, welche zu den Freuden des ewigen Abendmahles kommen wollen. Gott schenke uns heute die selige Erkenntnis und Frucht dieses Evangeliums!


 „Es war ein Mensch, der machte ein groß Abendmahl und lud viele dazu.“ So beginnt unser Text. Unter dem Bilde des Menschen erscheint hier Gott der HErr. Das große Abendmahl ist ein Bild jener ewigen Fülle und Genüge für Leib und Seele, welche Gott durch Seinen Sohn JEsum Christum der Menschheit gewähren will. Es werden viele zum ewigen Abendmahle geladen, das heißt ohne Bild: Gott ladet viele zu dem ewigen Leben und Seinen Freuden. Er ladet sie, d. i. Er thut es freiwillig, will die Menschen aus freier Gnade bei Seinem ewigen Mahle haben, Er will es und zwingt doch auch wieder niemand. − Heilige und heilsame Gedanken, allgemein bekannt, weil sie so oft und viel gepredigt werden, und doch nie und nirgends genug erwogen! Haltet sie fest, theure Freunde, und laßet sie nicht länger ohne die Würdigung, die ihnen geziemt! Unter dem Bilde eines Mahles wird schon im alten Testamente oftmals die Seligkeit des Reiches Gottes dargestellt; des Leibes zeitlicher Genuß dient, den ewigen Genuß Leibes und der Seele vorzubilden. Kein Aug hat gesehen, kein Ohr hat es gehört, es ist in keines Menschen Herz gekommen, was Gott in alle Ewigkeit hinein den Menschen für ein Leben voll Lust und Herrlichkeit bereitet hat; aber Er hat es gethan und macht es ihnen kund, läßt sie nicht ihre eigenen Wege gehen, ruft ihnen freundlich zu, erbietet sich ihnen zum Vater, Sein Haus zum Vaterhause, Seine Ruhe zu ihrer Ruhe und Seine Freuden zu ihren Freuden, so weit sie als Geschöpfe dieselben zu faßen vermögen. − Ich weiß, meine Brüder, ich habe wiederholt, was ich schon einmal gesagt habe; aber es geschah absichtlich und ich bin der Meinung, Gedanken so voller Gnaden, wie die bereits vorgetragenen, können nie oft genug wiederholt werden. Sie sind ein tägliches Brot der Seele, welche, je länger sie dieselben genießt, ihrer desto froher wird.


 Wir dürfen jedoch nicht gleich vornherein die seligmachende Liebe Gottes zu allgemein nehmen. Es heißt nicht: „er lud alle dazu,“ sondern nur: „er lud viele dazu“. Die Ladung ist nicht allgemein, wie sich das aus dem Verfolg des Gleichnisses von selbst ergeben wird. Bleiben wir strenge bei dem Ausdruck: „er lud viele“, ziehen wir den Blick eine kleine Zeit in engere Grenzen zurück, um ihn dann desto fröhlicher in immer weitere Kreiße der Gnade Gottes wandern zu laßen.

 Von der Zeit der Ladung unterscheidet das Gleichnis eine spätere Stunde, wo der Knecht ausgieng, um den Geladenen zu sagen: „Kommet, es ist alles bereit!“ Die Ladung geht der Berufung vorher, wie die Weißagung der Erfüllung. Ehe die Mahlzeit fertig ist, kann man zum Mahle weder gerufen werden, noch gehen; aber es kann einem angezeigt sein, daß ein Mahl bereitet werde und daß man zur Stunde, da es fertig, Theil haben und einen Ruf bekommen solle. Ehe Christus der Menschheit ewiges Leben erworben und bereitet hat, kann man nicht zum ewigen Leben gerufen werden, wenn schon man Kunde davon haben kann, daß Er darauf und daran sei, Leben und unsterbliches Wesen zu bereiten. Man kann zum ewigen Leben wohl geladen sein, aber nicht berufen, bevor der HErr gerufen hat: „Es ist vollbracht!“ Rückwärts von dem Berg Golgatha und dem Charfreitag liegt die Zeit der Ladung, vorwärts liegt die Zeit der Berufung. Es scheidet sich hiemit die Zeit des Alten und

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 018. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/357&oldid=- (Version vom 1.8.2018)