Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/356

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

es möglich zu machen, daß er Mosen und die Propheten hörte; er hörte und glaubte und wurde selig. Der reiche Mann hingegen überhörte die Stimme der Lesenden und Auslegenden, die Stimme Mosis und der Propheten: er verstand, wußte, glaubte nichts − drum gieng er verloren.

 Im alten Testamente hörte man Mosen und die Propheten, und wie ist es im Neuen? „Nachdem vorzeiten Gott manchmal und mancherlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat Er am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn, welchen Er gesetzt hat zum Erben über alles, durch welchen Er auch die Welt gemacht hat.“ Demselben hat Er Zeugnis vom Himmel gegeben und gesprochen: „Den sollt ihr hören.“ Und nun ist Er zwar, dieser geliebte und hochgelobte Sohn, gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe, wir sehen Sein Angesicht nicht, und den Ton Seiner Lippen hören wir nicht. Aber Sein Wort ist doch wahrhaftig unter uns, wie das Wort Mosis und der Propheten unter den Juden war zu Christi Zeit. Wir lesen es ja vor euern Ohren und ihr vernehmt es von unsern Lippen Jahr aus, Jahr ein. Dazu höret ihr in gleicher Weise das Wort der heiligen Apostel, zu denen der HErr spricht: „Wer euch höret, der höret Mich; wer euch verachtet, der verachtet Mich!“ denen Er verheißen hat: „Der heilige Geist wird euch in alle Wahrheit leiten!“ denen Er geboten hat, Sein Wort an allen Orten und unter allen Völkern zu predigen. Von uns sagt also Abraham nicht bloß: „Sie haben Mosen und die Propheten,“ sondern auch: „Sie haben den Sohn und Seine Apostel; laß sie die hören. Hören sie die nicht; so werden sie auch nicht glauben, ob einer von den Todten auferstünde.“

 Lieben Brüder! Wenn der Lebensweg im alten Testamente ein einsamer, nächtlicher von Mond und Sternen beleuchteter Pfad war; so ist der im neuen Testamente ein heller, von der Sonne, die JEsus Christus heißt, erleuchteter, seliger Weg, an deßen Seiten die Denkmale von achtzehnhundert Jahren und die Zeugnisse vieler Tausende von Gläubigen stehen und uns Lust und Muth machen, den Weg zu betreten und auf ihm geduldig bis ans Ende zu verharren. Es ist ein hochberühmter, viel gepredigter und allbekannter Weg: „Thut Buße und glaubet an das Evangelium“; er ist bei weitem nicht so schwer und steil, als der des alten Testamentes, denn hie ist Christus, der mehr ist, als Moses und die Propheten, − und vor ihm her diese alle, Moses und die Propheten, hinter ihm die Apostel und alle Zeugen der Kirche von Anfang an. So laßt uns des Weges achten, meine Brüder, und im Hören und Glauben verharren bis ans Ende. Das wird uns nicht irregehen laßen, das werden wir ewig nicht bereuen. Der Rath Abrahams, den wir annehmen, wird uns gute Frucht bringen, uns zu ihm versammeln, dem Vater der Gläubigen, und uns vor dem Orte der Qual behüten, den wir fürchten. Das helf uns Gott in Gnaden! Amen.




Am zweiten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Luc. 14, 16–24.
16. Er aber sprach: Es war ein Mensch, der machte ein groß Abendmahl und lud viele dazu, 17. Und sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, zu sagen den Geladenen: Kommt; denn es ist alles bereit. 18. Und sie fiengen an alle nach einander sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muß hinaus gehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 19. Und der andere sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 20. Und der dritte sprach: Ich habe ein Weib genommen, darum kann ich nicht kommen. 21. Und der Knecht kam und sagte das seinem Herrn wieder. Da ward der Hausherr zornig, und sprach zu seinem Knechte: Gehe aus bald auf die Straßen und Gaßen der Stadt und führe die Armen und Krüppel und Lahmen und Blinden herein. 22. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast;
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 017. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/356&oldid=- (Version vom 1.8.2018)