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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

meine Brüder, auf meine Worte und prüfet sie an unserem Texte. Es ist mein ehrlicher Vorsatz, euch weder mehr noch anderes zu sagen, als wir lesen und aus dem Worte Gottes lernen.

 Alle Religionen, liebe Brüder, haben die gemeinschaftliche Absicht, dem Menschen den Weg zum ewigen Leben zu zeigen. Alle versuchen es, aber keine einzige vermag es, als die christliche. In allen finden sich Anklänge der Wahrheit, aber die Wahrheit selber findet sich allein bei Dem, der gesagt hat: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Wer darum selig werden will, muß sich in den Schooß des Christentums flüchten; wo nicht, so ist nicht bloß die Furcht, sondern die Gewisheit des ewigen Todes vorhanden und der Sinn des ewigen Klagelieds, das man singen wird, ist schon gefunden. Es heißt: „Wir Thoren, wir haben des rechten Weges verfehlt!“

 Es gibt heut zu Tage eine Sekte, die sich Universalisten nennt, deren Lehre dahinaus geht, daß alle selig werden, sie mögen einer Religion zugethan sein, welche es auch sei. Eine vollkommene Gleichgiltigkeit gegen alle Gnadenmittel, falsche und wahre, ist Grund und zugleich Folge einer solchen Gesinnung. Manche treiben auch unter uns diesen Universalismus so weit, daß sie nicht bloß den Religionen, sondern auch dem gesammten Verhalten des Menschen allen Zusammenhang mit der Ewigkeit und allen Einfluß auf das ewige Loos der Menschen abschneiden. Die heilige Schrift aber ist von dem ersten bis zum letzten ihrer Blätter geradezu auf die entgegengesetzte Lehre gebaut. Ihr allgemeiner Grundsatz lautet: „Was der Mensch säet, das wird er ärnten“; hier ist nach ihr die Saat und dort die Aernte, das hiesige Leben steht im genauesten Zusammenhang mit dem jenseitigen und hat den größten Einfluß auf dasselbe.

 Es kommt nun nur darauf an, was im Erdenleben für die Ewigkeit wichtig und entscheidend ist. Wie unser Text zeigt, ist es weder Glück noch Unglück. Abraham, Isaac, Jakob, David und andere waren reich und glücklich in dieser Welt, und ihr Reichtum und gesammtes Glück hat ihnen ihr ewiges Leben dennoch nicht geraubt. Lazarus war arm, krank, voller Leiden, und seine Leiden haben ihm eben so wenig den Himmel geraubt. Umgekehrt war der Mann, welchen Christus im heutigen Evangelium Lazaro gegenüberstellt, reich, lebte alle Tage herrlich und in Freuden − und gieng verloren. Und viele tausend Arme, Kranke, Leidende gehen auch verloren. Das Recht, welches der Arme um seiner Armut, der Kranke und Leidende um ihrer Plage willen an den Himmel haben, ist nicht größer, als das des Reichen und Glücklichen. Es haben alle Menschen um ihres äußern Ergehens willen einerlei Anspruch an den Himmel, nemlich keinen.

 So gewis das ist, so gewis ist es aber auch, daß diejenigen Dinge, welche wir fürs ewige Leben nöthig haben, hier auf Erden gefunden werden und zu finden sein müßen, daß sie nicht von jenseits heruntergeholt werden müßen. Der reiche Mann war anderer Meinung. Ein Bote aus jener Welt, Lazarus soll zu seinen Brüdern gehen und sie auf beßere Gedanken und zu einem beßeren Leben bringen. Abraham widerspricht ihm und behauptet, weder abgeschiedene Geister, noch auferstandene Menschen würden durch ihre Erscheinungen und Worte die gehoffte, sichere Wirkung hervorbringen. Und wie wahr ist das! Petrus sah Eliam und Mosen auf dem Berge der Verklärung: half ihm das zum ewigen Leben? Er und viele andere sahen Engel − und wurden sie dadurch selig und heilig? Und wie viele Tausende, die in der Hölle ewiglich wehklagen, sahen Gott im Fleisch, unsern HErrn JEsum Christum! Ach, das Sehen macht es nicht, und es ist eine eitle, oft und viel widerlegte Thorheit, wenn jemand meint, irgend eine Erscheinung eines Geistes, Engels oder Auferstandenen würde ihn aus allen seinen Sünden reißen, zu einem Gotteskinde und zu einem Heiligen machen können.

 Ganz einfach sagt es Abraham dem armen Manne: „Sie haben Mosen und die Propheten, laß sie diese hören. Hören sie die nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob einer von den Todten auferstünde.“ Sie haben Mosen und die Propheten, laß sie die hören und glauben: − so lautet der alttestamentliche Himmelsweg. Moses und die Propheten wurden nicht mehr vernommen, wie zu ihren Lebzeiten; ihre Personen und deren Eindruck fehlte; aber ihre Schriften waren vorhanden und wurden gelesen − und aus dem Munde der Vorleser und Ausleger vernahm man Mosen und die Propheten, − und wer hörte und glaubte, der wurde selig, der vermied den Ort der Qual, der kam ins selige Paradies. Hier haben wir den Aufschluß über das ewige Schicksal Lazari und des Reichen. Lazarus, obwohl ein Bettler voller Schwären, wußte er

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 016. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/355&oldid=- (Version vom 1.8.2018)