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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Frucht und Freude nehmen kann, welche sich selbst überlaßen, auch unverändert bleiben wird, was sie ist. − Johannes nennt seine Zeit eine Wüste und die volle Bedeutung dieses Wortes, beßer, als wir sie kennen, war ihm klar, denn er lebte in der Wüste.

 Sich selbst nennt Johannes eine Stimme eines Predigers. In der verlaßenen, unwegsamen Wüste eine schallende Stimme, das zu sein bekennt er. Er nennt sich nicht einen Prediger, sondern eine Predigerstimme. Der Ausdruck ist nicht von Johannes, sondern er ist aus der Weißagung genommen, welche ihm seinen Lebenslauf anweist und sein Bild, wie es Gott geschaffen, vor die Augen hält. Darum ist es auch keine gesuchte Bescheidenheit, sondern eine männliche Ergebung in den vom Gotteswort ihm vorgezeichneten Beruf, ein heiliger Gehorsam in den Willen seines Gottes, wenn Johannes auf alle persönliche Würde verzichtet, kein Prediger zu sein begehrt, keines Predigers Ehre will, sondern zufrieden ist, Stimme zu sein und nur Stimme, ganz aufzugehen in den Inhalt seiner Stimme, seiner Predigt und ihren Inhalt verkörpert darzustellen. Er will von sich und seiner Person die Augen und Herzen völlig ablenken, völlig hinlenken auf seine Sendung, die sich in seiner Stimme, seiner Predigt ausdrückt. Die Herrlichkeit dieser will er nicht verringern, ihren Inhalt nicht verkleinern laßen; aber er selbst will zurücktreten − und nicht geachtet sein, wenn man seine Predigt nicht achtet, nur mit ihr geachtet und mit ihr auch verachtet sein.

 Weil ihm denn also nichts auf seine eigene Person, alles aber auf seine Stimme und Predigt ankommt, so wollen wir doch diese Stimme genauer kennen lernen. Johannes nennt sich nicht „die Stimme eines Rufenden“ in der Weise, daß ein jeder die Stimme sich andern Inhalts denken durfte. Seine Predigt ist nicht mancherlei, sondern Eine: er hat eine einzige Botschaft an Judäa, nur eine, und das eine sehr bestimmte, in kurzer Zeit zu erfüllende, aber jeden Falls hochwichtige. Diese Botschaft ist es, welche er als Inhalt seiner Stimme nennt, und ohne welche er die Stimme nicht gedacht haben will: er faßt sie kurz zusammen in die Worte: „Richtet den Weg des HErrn!“ Jesaias nannte einen Sohn Raubebald-Eilebeute, damit derselbe ein lebendiges Vorzeichen eines baldigen Raubes, einer eilenden Beute wäre. So liegt in den Worten „Richtet den Weg des HErrn“ wie in einem kurzen Namen Johannis der Inhalt seiner Stimme und sein ganzer Lebensberuf ausgesprochen. Wie vor einem großen König des Morgenlandes, welcher reisen will, die Läufer dahin eilen, seine Ankunft melden, zur Herstellung der Straßen auffordern; so war Johannis ganze Aufgabe, vor Christo herzulaufen, seine Ankunft zu melden, zur Bereitung der Seelen, zur würdigen Aufnahme Dessen, der da kam, anzumahnen. − Zwar wer will die Wüste bereiten? Wer wird in ihr Wege bauen? Wie kann sie schnell zum Paradiese werden, welches des kommenden Königs würdig wäre? − Aber gerade diese scheinbar trostlosen Fragen führen uns auf das, was der HErr begehrt, auf die Bereitung, die er von einer Wüste verlangen kann. Die Wüste soll erkennen, daß sie Wüste, also des HErrn unwerth ist; die Berge ihres Hochmuts sollen erniedriget und doch auch die Thäler ihres Unglaubens und Mistrauens erhoben, der schlichte, gerade Weg demüthigen, einfältigen Glaubens hergestellt werden. In aufrichtigem Bekenntnis des eigenen Unwerthes, demüthig und weinend über ihre Unfruchtbarkeit und Unwirtbarkeit, aber auch ohne Verzagen, in Hoffnung auf die Hilfe Deßen, der auch eine Wüste durch Seine allmächtige Gnadenkraft umwandeln kann zum fruchtbaren Gartenlande, − so sollte Judäa die geistliche Wüste, zur Zeit des Täufers Dem, der da kommen sollte, entgegenharren und entgegensehen. Das war die Bereitung, welche der HErr beabsichtigte, und diese Bereitung ist die Aufgabe des Täufers Johannes, die er mit aller Kraft umfaßt, der er lebt, die er vollbringt, nach deren Vollbringung er aufhört zu leben, eben weil er zu nichts anderem gesandt ist und nichts anderes in der Welt zu thun hat. Johannes erkennt auch die Lebensaufgabe, die ihm der HErr gesetzt hat: erkennt sie und von wannen sie ihm kam. Deshalb ist seine Rede voll einer so ruhigen Festigkeit, wenn er spricht: „Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Richtet den Weg des HErrn! wie der Prophet Jesaias gesagt hat.“ Wie wenn er hätte sagen wollen: „Mein Amt, mein Thun und Sollen, das ich auch will, stammt von oben: ich habe mir meinen Lebensberuf nicht selbst erwählt. Wie mich der HErr gewollt, wie mich seine Propheten zum voraus gezeichnet, so und nicht anders, das und gar nicht mehr oder weniger bin ich.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 023. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/34&oldid=- (Version vom 14.8.2016)