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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Du den Tempel Gottes zerbrichst und bauest ihn in drei Tagen, hilf Dir Selber. Bist Du Gottes Sohn, steig herab vom Kreuz.“ Die Andern, und zwar die Hohenpriester und Schriftgelehrten und Aeltesten, spotten: „Andern hat Er geholfen und kann Ihm Selber nicht helfen. Ist Er der König Israel, so steige Er nun vom Kreuz, so wollen wir Ihm glauben. Er hat Gott vertraut, der erlöse Ihn nun, lüstets Ihn; denn Er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn.“ Das sind Erinnerungen aus dem geistlichen, aus dem weltlichen Verhör; so weiden sich die vermeintlichen Sieger an ihrem Siege und dem scheinbaren Untergang des Hochgelobten, − und die Soldaten stimmen ein − und die mitgekreuzigten Schächer helfen auch. Alles, alles spottet Sein. Kein Geheilter, kein vom Tod Erstandener, kein Gespeister ist da, − und die wenigen Treuen unter dem Kreuze, sie brauchen den Trost fast mehr als Er, wenigstens kommt kein Wort des Trostes von ihren Lippen. − Er aber − schweigt: ganz versunken ist Er ins Leiden, mächtig an Zügen schlürft Er am Kelch, der Ihm gereicht ist. Opferleiden sind es, die Er leidet, die muß Er stille hinnehmen, denn Er büßt fremde Schuld. „Er schalt nicht wieder, da Er gescholten ward; Er dräuete nicht, da Er litte; Er stellete es Dem heim, der recht richtet.“ Es ist ein Spott über Ihn gekommen, wider den sich Himmel und Erde hätten auflehnen sollen. Er wird ja mit der Wahrheit verspottet. Er ist ja Gottes Sohn, der König Israels, der Heilige, der Geliebte Gottes, nach dem Ihn lüstet: warum dürfen diese Unholde Sein giftig spotten, ohne daß Himmel und Erden und Gott Selbst vom Himmel den Gehorsamen preisen und rühmen, der einzig und ohne Gleichen ist? Antwort: es sind Opfer-, es sind Versöhnungsleiden: zu denen muß Er, zu denen müßen Seine Himmel schweigen. Doch laß Ihn schweigen, schweig auch du, schau in das Angesicht voll Noth und Schmerzen − es wird nun allgemach die Noth aufs Höchste steigen, dann wird sichs wenden. Hohn − ist Schwachheit. Schwachheit wandelt den an, welcher mit Hohn und Spott und Schimpfworten seine Sache vertheidigt. Schweigen können, dulden können, beten und vergeben können: das ist Stärke. Sanftmuth sieget, Demuth überwindet. Was sie auch sagen, die Abscheulichen, die Schrift am Kreuz − und der Schwur Christi bleiben stehen: der Hohn verstummt, die Wahrheit bleibt. − So ists gegangen. So gehts noch. Er wird nicht vom Kreuze steigen, aber Er wird dennoch als Gottes Sohn und König erwiesen werden. Er wird herabgenommen und begraben werden und glorreich auferstehen und St. Paul wird von Ihm predigen, daß Er als Gottes Sohn erwiesen ist durch die Auferstehung und seit der Auferstehung. Seit jenem Tage des Spottes ist Christus JEsus König worden. Seine Ueberschrift weht von unsern Fahnen, Sein Königsname versiegt nicht von unsern Lippen, die Jahrhunderte und alle Lande und alle Himmel sind Seiner Ehren voll. Seine Schmach ist die höchste Ehre, Sein Kreuz das Zeichen der Ehre, des Sieges und Heiles geworden: vor dem Kreuz und der Dornenkrone stimmt man Hymnen an. Er hat einen Namen über alle Namen − Licht ist Sein Kleid − und Sein Weg ist zur berühmten Regel aller Heiligen geworden und alle stimmen ein in den Reim:

Hier durch Spott und Hohn;
Dort die Ehrenkron.




14. Die letzten Worte JEsu.

 DIe Höhenpunkte der letzten Stunden JEsu sind Seine sieben Worte vom Kreuz, mit denen Er das tiefe Schweigen Seiner Leiden unterbrach. Drei von diesen Worten fallen in die Vormittagsstunden, vier aber in die Zeit der großen Finsternis, in die Nachmittagsstunden und zwar sämmtlich ans Ende dieses Zeitabschnittes, in die letzte Stunde. Die Zeit vom Mittag bis gegen drei Uhr war eine schwere, finstere, stille Zeit, während welcher der HErr in tiefem Schweigen hieng und Leiden trug, von denen wir keine Kunde haben und keine Einsicht in dieselben haben können. Als Er aber alles, was uns verborgen ist, hinter Sich hatte, da schloß Er mit vier großen und heiligen Worten die Zeit des undurchdringlichen Schweigens und Geheimnisses ab. Faßen wir zuerst die drei Worte des Vormittags ins Auge.

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/325&oldid=- (Version vom 8.8.2016)