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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Sünder war der nicht, von dem mit Grauen die Psalmen weißagen, der unter der gezwölften Zahl war und diese That des Verraths, dieß Verbrechen ohne Gleichen begieng. − Man suche den Abscheu vor diesem Charakter nicht dadurch zu mildern, daß man auf seine Reue hinweist. Ist das Reue, wenn man merkt und sagt, man habe unschuldig Blut verrathen, wenn man die brennenden Silberlinge wegwirft, wenn man auf die eiskalte Abweisung der Priester hingeht und sich erhenkt? Ist Verzweiflung Reue, oder ist sie das Loos aller höllischen Geister, die ihr Unrecht einsehen, aber keinen Weg zu Gottes und JEsu Christi Erbarmen suchen und finden? Das ist die Traurigkeit der Welt, welche den Tod wirkt, wenn das bei Judas nicht zu mild, zu ungerecht geredet ist, wenn nicht der Teufel, der ihn beseßen, nun auch die Qual unvergebener Sünden schon diesseits anfieng und über ihn schüttete. Zur Reue gehört nicht bloß Schmerz und Schrecken der Sünde, sondern auch Glaube und Zuflucht zum Erbarmer. Dieser Judas aber kennt bloß unschuldig Blut, allein kein Versöhnblut, kein Herz JEsu, kein Erbarmen Gottes. Solcher Menschen Verderben ist unaufhaltsam. Er erhenkt sich, der Strick reißt, der Leichnam stürzt und berstet vom Sturz und schüttet das Eingeweide heraus. So wird sein Leichnam ein Scheuel und Greuel − und seine Seele geht „an ihren Ort“.

 „Des Menschen Sohn geht dahin, wie von Ihm geschrieben ist,“ und wenn Er hingeht, geht mit Ihm der Schächer, der Ihm zur Seite hieng, ins Paradies. Welch eine selige Paradiesesfahrt gegen die Abfahrt Judä! Und was für ein Heiliger ist dieser Schächer gegen diesen Apostel! Wem viel gegeben ist, von dem wird man viel fordern! Ha der Forderungen an diesen verzweifelten Bösewicht, der seinem schönen Namen den unaustilgbarsten Schandfleck angehängt und sein Andenken zum verruchtesten und verfluchtesten unter allen, die auf Erden und im Himmel und unter der Erden wohnen, gemacht hat! − Und was ists nun mit seinem Geiz? Was hat er gewonnen? Einreißendes Ende ist über ihn gekommen − dem Verrathenen voran, aber an seinen eigenen schreckenvollen Ort ist er in die Ewigkeit gegangen. − Der Geiz ist eine Wurzel alles Uebels. Der Geizigen Warnung, der Geizigen Vorgänger, der Geizigen abschreckendes Exempel ist Judas Ischarioth.




11. JEsus vor dem weltlichen Gericht.
Matth. 27, 1−30.

 MIt Anbruch des Tages versammelte sich der hohe Rath noch einmal, um am Sonnenlichte zu vollenden, was sie Nächtliches in der Finsternis begonnen hatten. Sie banden den HErrn und führten Ihn in hellem Hauf zu dem Landpfleger Pontius Pilatus. Hätten sie die Macht über Leben und Tod gehabt, so würden sie den Römer nicht herbeigezogen haben, um ihre Blutgier zu erfüllen. Aber grade drei Jahre vorher hatten die Römer dem hohen Rathe die Macht genommen, am Leben zu strafen. Wollten also die Hohenpriester JEsum tödten, so mußten sie den Landpfleger zu einer Verurtheilung zu bestimmen suchen. Als der Landpfleger den Haufen sah und nach der Ursache fragte, um deren willen sie diesen Gefangenen verhaftet und zu ihm gebracht hätten, gaben sie nicht auf der Stelle den Grund an, sondern sie pochten auf ihre eigene Gerechtigkeit, wie uns Johannes (18, 29 ff.) erzählt, denn, sagten sie, „wäre Dieser nicht ein Uebelthäter, wir würden dir Ihn nicht überliefern.“ Als sie aber anfiengen, die Klage vorzubringen, da logen sie (Luc. 23, 2.), Er sei ein Empörer, welcher das Volk aufrege und ihm sage, man solle dem Kaiser den Zins nicht geben, denn Er sei der König der Juden. Was war also hier der Klagpunkt? Vor dem geistlichen Gerichte wurde Er verdammt, weil Er gelästert und lästernd gesagt hätte, Er sei Christus, Gottes Sohn; hier aber wird Ihm, damit Er der zwei größten Sünden schuldig sei, Hochverrath Schuld gegeben, denn Er habe gesagt, Er sei Christus, der König. Darüber nahm Ihn Pilatus ins Verhör. „Bist Du der Juden König,“ war die einfache Frage, und die einfache Antwort war: „Ja, du sagsts.“ Wie

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/319&oldid=- (Version vom 8.8.2016)