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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

daß Ihm jemand etwas von einem Menschen sagte. Er kannte und wählte ihn − gewis nicht, um ihm die Gelegenheit zu seiner schweren Sünde zu verschaffen; sondern weil grade in dem hohen Berufe, zu welchem er alle Fähigkeiten besaß, und in der Gemeinschaft mit JEsu die großen Mittel lagen, ihn vom ewigen Verderben zu erretten. Er wählte ihn zum Apostel mit derselbigen Sicherheit und Weisheit, mit welcher die göttliche Vorsehung einem jeden Menschen denjenigen Beruf und diejenige Lebensstellung anweist, welche für ihn die versuchlichsten sind, in denen er sich am meisten bewähren kann, zugleich aber auch diejenigen, welche zu seiner Bewährung die meisten und kräftigsten Hilfsmittel bieten. Judas ist ein Teufel; er wäre ein Engel geworden, wenn man so sagen darf ohne Misverstand, im Fall er nemlich des Bösen Herr geworden wäre, das in ihm war. Judas ist ewig verloren, aber er hätte nach seinen Gaben auch können zur Rechten des HErrn die erste Stelle finden und der erste und größte der Apostel werden. − Drei Jahre war er in JEsu Schule, aber er wollte sie nicht benützen. Er führte die Casse, offenbar weil er dazu die beste Gabe hatte, − aber wo eines Menschen Stärke ist, da grenzt oft hart an sein Fehl und seine Bosheit: er war auch ein Dieb. Das konnte St. Johannes von ihm (12, 7.) nach der Erfahrung von drei Jahren sagen. Er sparte, alle Verschwendung war ihm ein Gräuel, aber auch die der frommen Jüngerin im Hause Simons des Aussätzigen. Ihm fielen die Armen ein, wenn er verschwenden sah, nicht aber wenn er geizte und seinem frommen, freiwillig armen HErrn die Wohlthaten Seiner Freunde aus dem Beutel stahl. Ja, ihm gieng Geld und Reichtum über alles, über JEsum und seine Seligkeit; er hatte nicht bloß sprichwörtlich, sondern Zeug der heiligen Schrift im wörtlichsten Verstand den Geizteufel in sich, der ihn regierte und mit höllischem Blendwerk die natürliche, lasterhafte Neigung nährte. Und so ganz übergab er sich dem Triebe, der in ihm war, daß grade das Anschauen des edlen Opfers, welches die salbende Jüngerin dem Heiland brachte, und der Wohlgeruch ihrer Salbe in ihm den Gedanken und Entschluß ausbrüten oder doch zur Reife bringen konnte: „Geh hin zu den Priestern, welche einen Verräther JEsu brauchen, und erbiete dich für Geld. Geld brauchst du. Geld bekommst du auf diese Weise.“ Eine solche Gedankenverbindung, einen Schluß von Salbung und Verrath, lehrt nur der Geiz und der Teufel − und stärken, solche Dinge auszuführen, kann auch nur Geiz und Teufel. Judas findet die nöthige Stärke und Beharrlichkeit; er kann es ertragen, vor die Priester zu treten, um sich zum Christusmorde zu erbieten; er kann einen Vertrag schließen, seinen HErrn zu verrathen und ihnen in die Hände zu überliefern. Er will Ihn nicht überliefern, wie etliche erdichteten, in Hoffnung, daß Er Sich am Ende doch losmachen und Seinen Feinden Sich entwinden werde. JEsus kannte ihn von Anfang und er war ein Teufel. Er wollte, was er that, und wollte es ganz, − ganz von eignem Entschluß und durch den Teufel. Ein anderes Bild dürfen wir uns von diesem Menschen nicht machen, wenn wir bei der heiligen Schrift bleiben wollen. − Seinen heillosen Entschluß brachte er mit zum Osterlammseßen; er wird in demselben nicht gestört dadurch, daß der nahe Tod JEsu und sein eignes Inneres, sein schrecklicher Vorsatz, offenbart wird; nach Lucas war Judas sogar bei dem ersten Abendmahle, ohne umgestimmt und innerlich erschüttert zu werden; ja, als ihm der HErr einen Bißen vom Mahle reichte, bemächtigte sich der Teufel seiner vollends und entflammte ihn zur Ausführung des fürchterlichen Geheimnisses. Wer mit solchen Gnadenhämmern, wie sie JEsus in der Nacht schwang, da Er verrathen ward, nicht aufgeweckt werden kann von seinen Sünden, der muß ja wohl kein bloßer Gelegenheitssünder, sondern ein frecher, verhärteter Bösewicht sein. Wer nun vollends sieht, mit welcher teufelischen Frechheit der Verräther die Rotte der Feinde anführt und Ihn, seinen Ernährer und größten Wohlthäter, nach vorgefaßtem Beschluß mit einem Kuße verräth; den kann ein kräftiger Unwille gegen die anwandeln, welche für einen Judas Liebesanwandlungen, und Sympathien für den haben, der unter allen frechen Sündern keinen seines Gleichen finden kann. Nicht mit Unrecht sagen die Alten zur Erklärung, warum an manchem Menschen kein Gnadenmittel fruchtet, manche Seele gleiche dem Koth auf der Gaße, welcher von der Sonnenhitze, die andre Dinge schmelzt, nur hart werden könne. Es gilt dieß Urtheil für Judas, der durch große und heiße Liebesströme JEsu doch nur mehr verstockt wurde; ohne daß ich deshalb in anderem Sinne diesen Judas mit Gaßenkoth vergleichen könnte. Denn ein gemeiner

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/318&oldid=- (Version vom 8.8.2016)