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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

waren sie gerathen. Ausgenommen in einem gewissen Maße war vielleicht Johannes, den wir dem HErrn in heiliger Treue überall hin, auch unter Sein Kreuz folgen sehen und an deßen beständiger, lauterer Liebe der HErr auch am Kreuze nicht zweifelte. Petrus aber, eingedenk seiner Versprechungen, von Liebe gezogen, und doch immer noch eigenen Kräften trauend, gieng mit Johannes zu Hannas, von Hannas zu Caiphas, folgte also dem HErrn − aber nicht wie Johannes, als Jünger, als erkannter Jünger (denn die Hohenpriester und ihre Dienerschaft kannten Johannem, so kannten sie ihn auch als Jünger), sondern in Furcht und wie heimlich. Die Tapferkeit im Garten war dahin, war in Furcht auch vor den Menschen umgewandelt, alle Zuversichtlichkeit des Charakters Petri war in Verwirrung, in unbesonnenes, unmännliches Wesen verkehrt. Als er auf dem Wege von Galiläa nach Jerusalem den HErrn abhalten wollte, die Reise fortzusetzen, predigte der HErr von der Nothwendigkeit, nicht bloß, daß Er Selbst Sein Kreuz trüge, sondern auch, daß Ihm Seine Jünger unter dem Kreuze folgten und daß sich keiner, der von Ihm dermaleins vor dem Vater bekannt werden wollte, des Kreuzes und des gekreuzigten Heilands schämen dürfte, daß man im Bekenntnis Seines Namens auch den Tod nicht scheuen müßte. Wie ganz auf die gegenwärtige, anfechtungs- und versuchungsvolle Lage Petri war das geredet. Aber es war auch alles vergeßen, wie denn der Teufel in Anfechtungen alles Gedächtnis derjenigen Reden und Sprüche JEsu zu nehmen pflegt, die hilfreich sein könnten. Petrus ist voll Furcht und Verwirrung. Die Thürhüterin hatte Petrum auf Fürsprache des offenkundigen Jüngers Johannes eingelaßen, was Wunder, wenn sie ihn auch für einen Jünger hielt und hernach, da er im Hofe stand, darum anredete? Aber Petrus hatte weder Licht noch Muth zu bekennen. Verleugnend gieng er vom Hofe weg dem Thore zu. Abermals redete ihn eine Thürsteherin an. Mit einem Eide verleugnete er Den, der nicht ferne von ihm mit einem Eide ein gut Bekenntnis Seiner messianischen und Gotteswürde vor dem blutgierigen Haufen that. Nach einer Weile, ungefähr einer Stunde, da er sich mit den Häschern im Hofe Caiphä an einem Feuer wärmte, wurde er von mehreren, namentlich von einem Verwandten Malchi, erkannt und angeredet, aus seiner Sprache, welche man ja bei dem Schwören und Verleugnen gehört hatte, der Beweis der Jüngerschaft geführt. Aber er war nun einmal in den Waßern der Sünde und watete zu; fluchend und schwörend verleugnet er seinen HErrn. Hier hatte die Anfechtung die höchste Stufe erreicht und zugleich die Sünde. Der Hahn krähte − und das Auge des HErrn, der mitten in Seinem eigenen Leiden den Jünger nicht vergaß, kehrte sich zu ihm, fand ihn und predigte ihm ohne Worte die Wahrhaftigkeit aller Seiner Reden. Da schwand der Nebel in Petri Seele, er sah, wohin es mit ihm gekommen war, − sah, daß er gefällt war. Er gieng hinaus und weinte bitterlich − über sich selbst, seine Vermeßenheit und seine Sünde.

 Vergleichen wir den HErrn und Petrus. Unverglichen wollen wir jedoch die Größe der Versuchungen laßen, welche beide betrafen; es ist kein Vergleich zwischen beiden. Aber das Benehmen beider laßt uns ins Auge faßen. Der HErr hat lange vorher eine Angst vor Seiner Stunde gehabt, welche immer größer wurde, je näher die Stunde kam, und welche im Garten sich zum Todeskampfe und blutigen Schweiße steigerte. Dagegen als nun die Häscher kamen, die Stunde da war: welche Majestät und Ruhe war über Ihn ergoßen; man kann und darf von Tapferkeit nicht reden, so überlegen über alle Seine Feinde, so gefaßt und siegend steht Er vor uns. Ganz anders Petrus. Vor der Gefahr war er voll Muth, im Anlauf war er mächtig und stark, − aber in der Gefahr, im Kampfe fällt er dahin. JEsus kennt Seinen Weg, fürchtet ihn, aber Er geht ihn − und wie! Petrus kennt seinen Weg nicht und sich nicht, sondern geht in seine Anfechtung, um einen Ausdruck der älteren Zeiten zu gebrauchen, „thumkühn“ und unbesonnen − und so fällt er dahin, wie Gras, vom heißen Wind des Morgenlandes getroffen. Wie Petrus fällt Alles, − was nicht mit JEsu und nach Seinem Worte geht. Er steht allein − und wohl Johanni und allen denen, die auf Ihn trauen und in Ihm Beständigkeit des Guten finden. Auf eigenen Füßen steht kein rechter Held.

 Uebrigens wenn wir an Petro den Fall, die Sünde der Verleugnung zu tadeln haben; so dürfen wir uns zwar aus seinem Beispiel eine Warnung nehmen, aber wir müßen auch im Gedächtnis behalten, was man gewöhnlich vergißt, daß Kräfte und

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/316&oldid=- (Version vom 8.8.2016)