Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/296

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

ist, als stände ich selbst als ein reines Opfer vor Dir und wäre vom Feuer entzündet, das vom Himmel fiel. Ach mein Gott, so zu leben, − das verleihe mir: dann bin ich ganz Dein und Du hast mich ganz mit dem Meinen, dann bin ich ganz arm, aber auch ganz reich, denn ich habe alles gegeben und Dich und in Dir alles wieder empfangen. Ich Dein − Du mein! HErr, welch ein wunderbares Geheimnis unsers Lebens, welch eine der Welt verborgene Herrlichkeit und Süßigkeit! Mein sei, mein sei diese Herrlichkeit, diese Süßigkeit!


Am Pfingstsonntage.
Apostelgeschichte 2, 1–13.

 ES ist ein so einfaches Buch, das Buch der Apostelgeschichte, dachte ich einmal. Und ein anderes Mal dachte ich: wenn ich über dieß Buch predigen sollte, so wüßte ich nicht, was zuzusetzen wäre, wenn der Text gelesen. Und da ich einmal sagen hörte: „wenn man so predigte wie Petrus an Pfingsten, so würde mit einer solchen Predigt niemand zufrieden gestellt sein und gestrenge Censoren würden die letzte Note darunter zeichnen;“ − als ich das sagen hörte, da sagte ichs nach und habe es oft gesagt. Aber großer Gott, vergib mir meine Sünde! Meine Augen waren gehalten, daß ich nicht sehen konnte, was für ein Paradies dieß Buch enthält und was für Leute unter den Bäumen wandeln, was für Worte in dem Haine schallen. Ja, einfach ists − aber was für eine wunderbare Einfalt ist es, wenn der Geist des HErrn HErrn vor unsern Augen und Ohren die Apostel in alle Wahrheit, in alle Kraft, in alle Geduld und zur ewigen Herrlichkeit leitet. Ich dachte, ich könne nicht predigen, nichts zum Texte sagen: ja, es kann kommen, daß ich nichts zum Texte sage, weil mir die Wahl weh thut unter dem Reichtum der unaussprechlichen Fülle. Ich sehe, ich sehe, ich schaue, ich staune über den Frühling der Kirche − und ich schwör darauf, daß mir gegenwärtig kein Buch der Schrift außer den Psalmen so von Pfingstthau und Gottes Segen trieft, als die Geschichte der Apostel. Und die Predigten im Buch sammt der ersten Pfingstpredigt? Ich habe mich unterstanden, sie Meisterstücke der Beredtsamkeit zu nennen, unnachahmliche, nie erreichbare, gegen welche Goldmunds (Chrysostomus), Augustinus Reden und Luthers Macht und Donner doch nur eitel apocryphisches, geringes Geschwätz und kindliches Lallen sind. Diese Prediger stehen auf Bergen, von denen man vor und hinter sich zwei Testamente und den offenen Himmel über sich sieht! Sie waren die ersten auf den Scheidebergen: welche Blicke, welch Zusammenfallen des Fernen, Nahen, Ewigen, welch ein Zusammenstellen göttlicher Thaten, welche Lichter! Wer hat je in einer Zeit gelebt, wie sie, so Unerwartetes, so Ueberzeugendes, so Ueberwältigendes, wie sie gesagt, und so gesagt − in Worten voll Majestät, voll übermenschlicher Würde und Kraft! Hier ist des Vaters Geist! Den merk ich im einzelnen Vers, wie im Zusammenhang und Zusammenlaut der Verse! Kurz, hier, in dem Buch ist immer Pfingsten, und die morgenländische Kirche, die oft gewußt hat, was sich schickt, liest drum dieß Buch in den fünfzig Pfingsttagen von Ostern bis zum Tage des heiligen Geistes! − Es ist mir begreiflich, daß der Apostel Reden Entsetzen, Verwunderung, Irrwerden, Spotten etc. erregen konnten (V. 7–13.). Aber das faße ich nicht mehr, daß einen das Pfingstbuch, die Apostelgeschichte, kalt und unberührt laßen kann. − Das macht, es ist alles so verständlich dem Wortlaut nach, und wer die Verständlichkeit des göttlichen Worts den Römischen recht deutlich zeigen will, der nehme die Apostelgeschichte zum Exempel. Aber zum Verständnis fehlt eben die Erkenntnis , die von oben kommt, das Echo vom Himmel und Licht und Feuer aus dem Heiligtum. Drum gibts auch so wenig Gutes, das man über die Apostelgeschichte lesen könnte. HErr, öffne mir die Augen, daß ich sehe die Wunder an Deinem Gesetze!


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/296&oldid=- (Version vom 14.8.2016)