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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

gleichfalls ihm allein zu Gebot, wie der heilige Joseph im Kerker dasselbe vor Auslegung der prophetischen Träume des Mundschenks und Bäckers behauptet hat.

 So stehen die Weißagungen der Propheten in der Welt, wie Lichter und Leuchtthürme in finsterer Nacht. Es geht Licht von ihnen aus; allgemeine Wahrheiten werden aus ihnen erkannt, und es ist nützlich, auf dieß Licht in der Nacht zu achten, wenn es schon nicht völlig hell ist, wenn schon es nicht einmal den eigentlichen Sinn der Weißagung selbst erhellt. So haben die Weißagungen der Offenbarung St. Johannis viele Seelen zum ewigen Leben erleuchtet, aber sie selbst sind doch großentheils noch unenthüllt bis auf den heutigen Tag.

 Es wird aber eine Zeit kommen, da wird es Tag werden und die Erfüllung wird erscheinen, und an ihr wird dann das Geheimnis der Weißagung klar werden. Ja es kann geschehen, daß unmittelbar vor der Sonnen Aufgang schon ein Morgenstern kommt, daß unmittelbar vor der Erfüllung Licht über die Erfüllung gegeben wird, die da kommt.

 So wußten die heiligen Apostel von der Kraft und Zukunft JEsu Christi manches durch das Lesen und Hören der alten Weißagungen, die sie in der Propheten Büchern fanden. Als aber der Tag der Erfüllung anbrach und die Kraft und Zukunft des HErrn schon in die Zeit hereingetreten war, da wurde ihnen auch eine Auslegung gegönnt, welche sie sich nimmer zu erwarten getraut hätten. Der HErr nahm sie mit Sich auf den heiligen Berg, verklärte Sich vor ihnen, ließ sie zuhören, als Er mit Mose und Elia von Seinem Ausgang redete, und sie vernahmen zuletzt das Zeugnis des allerhöchsten Vaters von dem Sohne aus der Wolke. Dadurch ward, ihnen das prophetische Wort fester. Sie wußten nun aufs Gewisseste, daß ihr Meister Der war, welcher kommen sollte, und daß sie keines andern warten durften.

 So verklärte ihnen die Auslegung das prophetische Wort, gleichwie sie das prophetische Wort zu Christo gewiesen hatte. Die Geschichte entsprach der Prophezei, und die Prophezei gab der Geschichte ihr volles, göttliches Licht.

 Wir sehen, meine Freunde, St. Petrus hat Recht, wenn er behauptet, nicht klugen Fabeln gefolgt zu sein, sondern dem Zeugnis Gottes und Seiner Propheten. Und was wollen wir nun thun? Haben wir nicht der Propheten Schriften wie die Apostel? Und kennen wir nicht das Zeugnis des Vaters durch die Apostel? Zeugen nicht die Apostel selbst? Wollen wir also nicht dem Zeugnis Gottes und Seiner Heiligen trauen? − Es taget doch, der Morgenstern der Erfüllung ist längst vorhanden. Die Zeit aller Erfüllung vollendet sich immer mehr. Bald wird erscheinen, des wir warten, der Amen heißt, weil alle Gottesverheißungen in Ihm Ja und Amen sind. Wollen wir erst dann glauben, wenn wir Ihn schauen, oder glauben wir jetzt? − Was Deine Propheten geweißagt, Deine Apostel gedeutet und geschaut, was sie, was Dein Vater bezeugt hat von Deiner Kraft und Zukunft, das laß uns faßen und halten und immer lichter erkennen und dadurch selig werden! Amen.


Am Sonntage Septuagesimä.
1. Corinther 9, 24.−10, 15.

 DEn Sinn dieser Epistel möchte ich in die Worte zusammenfaßen: Wenn man gleich in der Gemeinschaft der heiligen Sacramente lebt; so ist man doch des ewigen Heiles verlustig, wofern man sich nicht die Kraft der Sacramente zur Heiligung der Seelen dienen läßt. Man muß nach Heiligung der Seelen jagen, oder es wird uns auch der Empfang der Sacramente zur Verdammnis dienen.

 Zum Beweise dieses zeigt der Apostel mit Fingern auf das Schicksal der Israeliten in der Wüste. Auch sie hatten wunderbare Erweisungen Gottes zu genießen, welche mit den Sacramenten nach Inhalt und Form vieles gemein hatten. Sie reisten unter der Wolkensäule, die (Ps. 105, 39.) wie eine Decke über sie ausgebreitet war, und giengen durch das rothe Meer, wie durch Mauern: sie wurden also durch Wolken und Waßer gerettet unter Mose, wie wir durch das Waßer der Taufe vom ewigen Verderben gerettet werden. Sie aßen die wunderbare Himmelsspeise des Manna und tranken, da sie dürsteten, von

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/277&oldid=- (Version vom 14.8.2016)