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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Bild des göttlichen Sohnes, der uns erschienen und geboren ist. Wir sind größer und älter worden und damit haben wir den Widerstand gegen Gottes Geist gelernt; aber ob auch unsre Erneuerung durch unsre Schuld in ein Stocken gerathen ist, der Geist, der in unsrer Taufe reichlich über uns ausgegoßen ist durch JEsum Christum unsern Heiland, ist noch vorhanden, − und wenn wir uns nur Sein und unsrer Taufe besinnen und wieder wie Kinder, wie Taufkinder Ihm folgen mögen, so fährt Er fort wo Ers gelaßen, bis Er uns vollendet und zu dem Erbe hindurchgebracht hat, das wir mit dem menschgewordenen Gottessohne theilen sollen.

 Laßt uns Kinder werden, liebe Brüder, JEsu, dem Neugeborenen gleich! Laßt uns wieder zum Taufbrunnen gehen und uns Seinem Geiste wieder überliefern! Der helfe uns doch, daß wir selbst den kindlichen Geist wieder finden, durch den wir Weihnachten am seligsten feiern! Amen.


Am Sonntage nach Weihnachten.
Galater 4, 1–7.

 GEist meines Vaters, HErr Gott, heiliger Geist! Gelobet seist Du, der Du in meinem Herzen wohnst und mich beten lehrst. Geist der Kindschaft, ich danke Dir, daß ich durch Dich ermächtigt bin, alle meine Gebete in ein vertrauensvolles Wörtlein, in das Wörtlein: „Abba“! zusammenzufaßen. Alle meine Sorgen für meine Seele, alle meine Sorgen für meinen Leib schweigen, wenn ich aus dem Grunde meiner Seele beten kann: „Abba, lieber Vater!“ − Erhalte mich in dem Einigen, daß ich diesen Namen liebe, daß er in meinem Herzen bleibe, daß ich sein nicht vergeße. Wenn mir alles vergeht und entschwindet, so sei es das Gebet „Abba“, − das bleibe mir und erhebe mich übers Leben, das reiße mich hindurch und bringe mich heim!

 Sohn Gottes, geboren vom Weibe, und unter das Gesetz gethan, der Du uns die Fülle des Gesetzes gezeigt hast, um es dann zu vollenden und Deine große göttlich-menschliche Herrlichkeit in Erfüllung desselben zu zeigen, der Du uns die Strafen der Sünden an Deinem Leibe, an Deiner angstvollen Seele gezeigt hast, um sie in unserm Namen vollkommen zu überwinden, und uns in die Freiheit der Gnade zu führen! Ich danke Dir, Du hast mich erlöst. Meine Stricke sind zerrißen, meine Bande entzwei! Ich bin Dein − und ewig, ewig will ich nun mit Dir im Himmel loben und preisen, den Du, obschon selbst vollkommener Gott, dennoch ewig lobest, ewig preisest!

 Vater unsers HErrn JEsu Christi, reicher, allmächtiger Gott, der Du Himmel und Erde und ihre Fülle für Menschen geschaffen und auf Wunderwegen für die gefallenen Menschen erhalten und bewahrt hast! Der Du auch mir ein Erbe gegeben hast, so wahr ich versöhnt bin durch Christum und Dein Kind kraft des Abba, das Dein Geist mich lehrt! Mein Vater, − Vater meines Bruders und Königs Christus, − Vater meines Volkes, zu dem ich gesammelt werde, − Vater Deines Reiches: ich preise Deinen Namen! Ich schreie nicht Hosianna, nicht Halleluja! Ich schreie mit größerer Lust: Abba, Abba!

 Mit dem Worte schweig ich! Es ist genug, wenn ich Dein Kind, o Vater, bin in Christo JEsu! Abba, lieber Vater!


Am Neujahrstage, als dem Beschneidungsfeste Christi.
Galater 3, 23–29.

 DIese Epistel hat mit den vorausgegangenen eine große Verwandtschaft. Auch sie zeigt den Uebergang des Alten in das Neue Testament durch den neugeborenen Christus; auch sie zeigt den großen Unterschied, welcher durch die Menschwerdung Gottes zwischen sonst und jetzt entstanden ist; auch sie lehrt etwas Ganzes, einen zusammenlaufenden Ring und Kranz heiliger, Gott gefälliger, dem Menschen heilsamer Lehren.

 Christus, der Neugeborene, und das mit Ihm eintretende Neue Testament heißt in unserer Epistel der

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/265&oldid=- (Version vom 14.8.2016)