Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres | |
|
von Seinem Hingang und von Seinem Wiederkommen gesprochen. Daran erinnert Er sie; zwar nicht zunächst an Sein Wiederkommen, von welchem Er wenige Verse vorher ohnehin gesprochen hatte, aber an Seinen Hingang. Er gieng zum Vater, der größer war als Er Selbst, − dem Er aber nun in Seinem Hingang auch nach der Menschheit näher kommen, auf deßen Throne, zu deßen Rechten Er niedersitzen sollte. Die Menschheit JEsu, hier erniedrigt, wurde durch den Hingang in alle Folgen ihrer Verbindung mit der Gottheit völlig eingeführt und alle Fülle der Gottheit durchströmte und durchleuchtete sie. Nun wurde sie, nachdem sie durch Reinheit schon während ihres Erdenwandels ein würdiger Tempel der Gottheit gewesen war, auch durch Majestät und Kraft eine vollkommene, würdige, ewige Trägerin der Gottheit. Sie zog die göttliche Gestalt an, die ihr wegen der ewigen und vollkommenen Verbindung mit dem Sohne Gottes gebührte, und wurde nun die Freude und Wonne des Vaters und aller geschaffenen, reinen Geister. In ihrem Anschauen fanden von da an die letzteren ihre Seligkeit, und die Menschen wißen nun alle keine höhere Bezeichnung für ihre letzte und größte Hoffnung, als „Anschauen JEsu“. So diente also dem HErrn Sein Eingang zur Vollendung, weshalb Er auch mit freundlichem Verweise zu Seinen Jüngern sprechen konnte: „Hättet ihr Mich lieb, so würdet ihr euch freuen, daß Ich euch gesagt habe, Ich gehe zum Vater; denn der Vater ist größer denn Ich.“ − Die Größe JEsu, die ewige Herrlichkeit Seiner allerheiligsten Person ist der Brunnen aller Wohlthaten, die wir vom Geiste der Pfingsten empfangen. Durch Seine Auffahrt ist dem HErrn JEsus alles, was Gott hat, beigelegt. Nun vermag Er uns alle Verdienste Seiner Leiden zuzuwenden. Nun vermag Er alle Dinge, nun vermag Er auch zu uns zu kommen und bei uns zu sein, wie nach der Gottheit, so nach der Menschheit, − und es ist daher die Vollendung alles Pfingstsegens, wenn wir ihn nicht bloß an ein Kommen des dreieinigen Gottes, sondern auch als ein herrlich Kommen des Gottmenschen JEsus Christus denken dürfen. „Ich gehe hin und komme wieder zu euch“ − so sprach Er, und an Pfingsten kam Er wieder, zwar nicht sichtbar, aber spürbar, so spürbar und gewis, daß St. Petrus in seiner ersten Pfingstvertheidigung die Ausgießung des heiligen Geistes geradezu dem erhöhten Menschensohne zuschrieb. Bringt uns also die Pfingstzeit Einwohnung des dreieinigen Gottes und damit das Größte; so bringt sie uns auch Allgegenwart JEsu und damit das Heimatlichste, das Lieblichste. Wandelt in uns Gott, und erschrecken wir vor unsrer eigenen herrlichen Fülle; so tröstet uns der Gedanke, daß neben uns stärkend der Erstling wandelt, der, wenn wir Tempel genannt werden, den Namen in tausendfach erhabenem Sinne von Sich brauchen kann, weil in Ihm die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt.
Aber freilich, wir dürfen es nicht vergeßen, die Verherrlichung JEsu, die ganze Seligkeit der Pfingsten, die ganze Herrlichkeit der Pfingstgestalt der Kirche ist eine Frucht der Leiden Christi. Alles, was unser schöner Text enthält, ist den Jüngern von Christo vor dem Leiden gesagt, und es kam bald, nachdem es gesagt war, während des Leidens und Sterbens und Grabliegens JEsu eine Zeit, in Bezug auf welche der HErr nicht umsonst sprach: „Ich habe es euch gesagt, ehe denn es geschieht, auf daß, wenn es nun geschehen wird, daß ihr glaubet.“ Vergeßen wir also nicht, durch welche Nöthen unser HErr mit Seinen Jüngern gehen mußte, bis der Geist der Pfingsten kommen und allen Segen bringen konnte, von dem wir heute geredet haben. Es galt da vorher einen heißen Kampf mit dem Fürsten der Welt, der da kommen und nichts an JEsu finden sollte (V. 30.); es galt einen Kampf, den unser HErr allerdings nicht fürchtete, von welchem Er in ruhigster Siegesgewisheit sprach, in welchen Er Sich aber doch nur aus Liebe zu Seinem himmlischen Vater, aus Gehorsam gegen deßen heiliges Gebot begab (V. 31.); es galt einen Kampf, zu welchem Er am Schluße unsers Textes Sich und die Jünger, die Ihn bis zu den Pforten des Kampfplatzes begleiten sollten, mit sehr ernsten und feierlichen Worten erweckt (V. 31.). Klingt das alles passionsmäßig und nicht pfingstmäßig, so ist es doch textgetreu, so verbinden wir doch nur nach dem Muster JEsu Selber mit den schönen Reden von Pfingsten und Pfingstgestalt die ernsten Worte vom Kreuz des HErrn, mit dem Lob- und Preisgesange dieses Festes das Gedächtnis der Wurzel, aus welchem jedes Halleluja hervorwuchs. Verdanken wir der Auffahrt JEsu zu dem
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/250&oldid=- (Version vom 4.9.2016)