Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres | |
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Am Pfingsttage.
- 23. JEsus antwortete und sprach zu ihm: Wer Mich liebet, der wird Mein Wort halten, und Mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen, und Wohnung bei ihm machen. 24. Wer aber Mich nicht liebet, der hält Meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr höret, ist nicht Mein, sondern des Vaters, der Mich gesandt hat. 25. Solches habe Ich zu euch geredet, weil Ich bei euch gewesen bin. 26. Aber der Tröster, der heilige Geist, welchen Mein Vater senden wird in Meinem Namen, Derselbige wird es euch alles lehren, und euch erinnern alles des, das Ich euch gesagt habe. 27. Den Frieden laße Ich euch, Meinen Frieden gebe Ich euch, Nicht gebe Ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht. 28. Ihr habt gehört, daß Ich euch gesagt habe: „Ich gehe hin und komme wieder zu euch.“ Hättet ihr Mich lieb, so würdet ihr euch freuen, daß Ich gesagt habe: „Ich gehe zum Vater,“ denn der Vater ist größer, denn Ich. 29. Und nun habe Ich es euch gesagt, ehe denn es geschiehet, auf daß, wenn es nun geschehen wird, daß ihr glaubet. 30. Ich werde hinfort mehr nicht viel mit euch reden, denn es kommt der Fürst dieser Welt und hat nichts an Mir. 31. Aber auf daß die Welt erkenne, daß Ich den Vater liebe und Ich also thue, wie Mir der Vater geboten hat, stehet auf und laßet uns von hinnen gehen.
DIe heutige Festepistel, welche vom Altare verlesen wurde, ist von dem so eben verlesenen Festevangelium sehr verschieden. Jene berichtet die wundervolle Geschichte des Tages, den wir feiern; dieses erwähnt des Tages mit keiner Sylbe, zeigt uns aber anstatt der längst vergangenen Festgeschichte die eigentliche Pfingstgestalt der Kirche, anstatt des Vergänglichen das Dauernde, was sich in jedem Gläubigen finden soll und durch Gottes Gnade sich auch leicht finden kann. Wenigstens ist das der hervorstechende Inhalt des Pfingstevangeliums.
Am Morgen des heutigen Tages waren die Jünger JEsu, wie andere Israeliten, zur Stunde des Gebetes, unserer neunten Vormittagsstunde, in den Hallen des Tempels versammelt. Sie waren am Osterabend durch den Hauch und Geist des Mundes JEsu zu guten Beichtvätern und Seelsorgern der Welt geweiht worden und hatten damit die ordentlichen Amtsgaben empfangen. Heute sollten diese Gaben zum Leben und zur Uebung gebracht und mit den großen, außerordentlichen Gaben des Apostolats verbunden werden. Was zuvor bereitet war, sollte nun zur Anwendung kommen und die Boten, welche Sich der HErr zugerüstet hatte, sollten nun in ihre große, amtliche Thätigkeit eingeführt werden. Das wars, was wir vorgehen sehen, wenn wir die Geschichte des Pfingsttags lesen. Ein lauter, kenntlicher Schall, ein in der ruhigen Luft des Tages sich deutlich absonderndes Windeswehen bewegte sich auf denjenigen Theil der Tempelhallen, auf das Haus zu, wo die Jünger versammelt waren. Die im Tempel, in nahen Räumen gleichfalls versammelten Israeliten konnten die Bewegung und Herberge des Schalls und Windes unterscheiden und strömten dorthin. Israel sammelt sich, den ersten großen, neutestamentlichen Pfingstsegen zu schauen und zu empfangen. Da ward groß Wunder offenbar, da sah man die Jünger, auf deren jeden sich der heilige Geist in einer Weise niedergelaßen hatte, welche wir nicht verstehen, und ihre Zungen erschienen zertheilt und feurig. Sie selbst voll heiligen Geistes sollten, was in ihnen lebte, mit zertheilten Zungen, d. i. in mancherlei Sprachen, und so verkündigen, daß wie vom Feuer auf die Leiber, so von ihren Zungen in die Seelen Licht und himmlisches Leben strömte. Es gab Predigten, wie man sie zuvor nicht vernommen. In heiliger Ordnung erhob sich ein Apostel um den andern und in wunderbaren, abwechselnden und sich einander ablösenden Vorträgen, deren ein jeder in einer andern
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/244&oldid=- (Version vom 4.9.2016)