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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Gasse, ein Dorf, eine Stadt, ein Land an; je weitere Kreiße ihr ins Auge faßet, eine desto größere Unwahrscheinlichkeit des Friedens werdet ihr finden. Und diese Unwahrscheinlichkeit wird sich fast als Unmöglichkeit zeigen, wenn ihr den verschiedenen Sinn, den so verschiedenen Vortheil und die zahllos unterschiedenen eigennützigen Absichten und Zwecke der Menschen bedenket. Da geht immer der Sinn und Vortheil des einen wider Sinn und Vortheil der andern, es heißt oft wie bei Ismael: seine Hand ist wider jedermanns Hand und jedermanns Hand wider ihn. Streit und Streit und nichts als Widerstreit findet man gegeben. Und die Unmöglichkeit eines dauernden Friedens wird sich im Leben bestätigen, so wie man nur hineinsieht, Erfahrung und Geschichte befragt. Welches einzelne Leben, welches Volkes Leben hätte sich anders entwickelt, als in Satz und Gegensatz und in Widerstreit? Nichts ist wahrer, als daß jedes Leben ein Kampf ist. Die Welt ist voll Künste, aber es ist keine Kunst erfunden und wird auch keine erfunden werden, durch welche das Leben aufhörte ein Kampf zu sein. Es gibt viele Tugenden und Kräfte, aber keine Tugend ist so hell, keine Kraft so gewaltig, daß der Kampf dadurch beseitigt würde. Nichts auf Erden, nichts im Himmel ist, das nicht seinen Gegensatz hätte. Es gäbe darum auch gar keinen Weg, den Kampf zu vermeiden, als den, nicht geboren zu sein, und der ist selbst nicht möglich, und so bleibt nichts übrig, als sich in die Nothwendigkeit zu ergeben und neben jede Wiege geruhig ein Schwert zu legen.

 Man könnte nun freilich sagen: Aber ist denn die Kirche nicht ausgenommen, ist sie denn nicht ein Friedensreich, und ihr König ein Friedenskönig? Fragen könnte man so, aber nicht durchweg mit Ja antworten. Die Kirche ist ein Friedensreich, sie hat Frieden mit Gott, führt alle verlorenen Schafe zu dem Frieden JEsu, soll und will es, will also auch gar nichts als den allgemeinen Frieden aller Schafe. Aber gerade das, gerade ihr kräftiger Entschluß, alle Menschen zum Frieden JEsu zu führen, bringt ihr Unfrieden. Es gibt so viele, die von JEsu und Seinem Frieden nichts wißen wollen, nichts davon begehren, die es für eine Anmaßung erkennen, daß die Kirche und ihre Diener andere leiten und führen wollen, und wär es gleich zum Frieden, zum allgemeinen Glück. Ihnen gilt ein Seelenfreund und ein Feind ganz gleich, und sie glauben Fug und Recht zu haben, den Gotteskindern, den Friedensstiftern, JEsu Zeugen und Friedensboten auf das heftigste zu widerstreben. Natürlich! Biete den Frieden JEsu an, so verachtest du ja den Frieden der Welt! Nöthige hereinzukommen ins Friedensreich, so nöthigst du, die gewohnte Bahn und den gewohnten Aufenthalt zu verlaßen; du hältst also das gewohnte Leben für unvollkommen, sündlich, schlecht, und schiltst und tadelst den, der sich dabei so lange beruhigen konnte. Und meinst du, so etwas werde dir der ein- und angeborene Hochmuth verzeihen? Meinst du, der eigenliebige Dünkel werde es dulden, wenn die Zeugen JEsu den Weg zum Leben beßer wißen wollen, als er? Meinst du, die eitle Selbstgerechtigkeit der Sünder werde nicht im Innersten empört werden, werde sich des Zornes erwehren können, wenn jemand eine beßere Gerechtigkeit haben oder gar predigen will? Nein, nein, das hoffe nur nicht, das geschieht gewis nicht. Die Römer ließen alle heidnischen Religionen gelten, weil keine die andere aufhob; aber die Religion JEsu? Mit nichten! diese straft ja alle andern Lügen und ließ keine andern gelten. Gegen diese mußte der Römer als gegen eine selbst unduldsame Sekte mit aller Schärfe verfahren, sie anfechten, unterdrücken und ausrotten. So gieng es der Kirche immer. Sie ist ja keine Partei unter den Parteien, obwohl ihr das schon Streit gebären würde. Aber sie ist ja eine Partei über allen Parteien oder vielmehr gar keine Partei, sondern ein Sammlungsort der aus allen Parteien Geretteten und Genesenen. Sie ist drum wider allen und allerlei Weltsinn und alles Weltthun, und jedermanns Sinn und Hand ist drum wider sie. So war es, so ist es, und es kann auch nicht anders werden, es wird immer so sein. Die Weltgeschichte ist ein Kampf, und die Kirchengeschichte ist auch ein Kampf − und wie sich Pilatus und Herodes wider Christum verbanden, so werden und wurden allezeit und überall die streitenden Parteien der Welt nur einig, wenn es wider die höchste Einigkeit, wider JEsum und Seine Braut angeht. Wie Gideon mit wenigen Streitern wider eine zahllose Schaar streiten mußte, so liegt die heilige Kirche der Welt gegenüber wie zwei Heerdlein Ziegen und es ist ein unabläßiger, heißer, leidenvoller Krieg.

 Daß es so ist und aus Gründen des Verstandes

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/241&oldid=- (Version vom 4.9.2016)