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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

aber alle gesammelten, erhöhten Menschen werden dennoch das Lamm ehren und anbeten sammt dem Vater, und wenn Gott sein wird alles in allem, wird der Vater dennoch mit dem menschgewordenen Sohne, wie mit dem heiligen Geiste ewig, ewig anzuschauen und anzubeten sein.


 Wer will das ausreden, was im Himmel vorgegangen ist, als der Sohn heimkehrte zu dem Vater, nicht ein verlorener Sohn, der sein Erbtheil verpraßt, sondern ein Sohn, der ein ewiges Erbe nicht für Sich allein, sondern für alle Seine armen Brüder nach dem Fleische gewonnen hatte. Er kam heim und hatte die Fürstentümer und Gewaltigen ausgezogen und einen Triumph aus ihnen gemacht; die Gewalt des Todes hatte Er dem Satan abgenommen, der Höllen Pforten zerbrochen und ihre Burg zerstört. Er kam heim ein Herzog der Seligkeit, ein Erstling unter denen, die schlafen, vor Gott und Seinen Engeln ein König des Lebens. Wenn schon Freude ist über einen Sünder der Buße thut; welche Freude mag im Himmel bei allen Engeln und Auserwählten gewesen sein, als der Heiland kam, in dem alle Sünder allein selig werden können! Wer will das Jauchzen, wer die Gesänge, wer das Halleluja beschreiben, denken oder ahnen, das unsern HErrn JEsus Christus empfieng? Seit die Morgensterne den HErrn in Seiner Schöpfung lobten, war kein Tag gewesen, wie der Himmelfahrtstag. Das ist der größte Festtag, ja mit dem Tage begann im Himmel ein immerwährender Festtag, des Lobgetöne bis heute nicht verstummt ist und ewig nicht verstummen wird. Jedoch das sind Dinge, von welchen wir aus Mangel beides an Worten und an Gedanken nur wenig reden können. Wir werden aber Theil haben an alle dem, wenn unsre Zeit kommen, wenn unsre Seelen im Sterben gen Zion kommen und unsre Leiber am jüngsten Tage ihre Himmelfahrt halten und durch die Luft Christo beigefügt werden, wie St. Paulus schreibt.

 Beßere Einsicht haben wir in ein anderes freudiges Regen und Bewegen, von welchem der Schluß unsers Textes spricht. − Wir konnten schon bemerken, daß unser Evangelium nicht bloß von der Himmelfahrt Christi redet, sondern auch erzählt, was vorhergieng und darauf kam. Es umfaßt die ganze Summa aller Herrlichkeit Christi und Seines Reiches, und es ist nicht umsonst, daß grade dieses Evangelium für den heutigen Tag gewählt ist. Himmelfahrt sollte in ihrer ganzen Bedeutung erkannt werden. Wir sehen den HErrn auffahren, aber wir sehen auch die Kräfte von Ihm ausgehen, die Er verheißen hat, wir sehen schon in Pfingsten hinein, sehen weiter, sehen die Apostel ausgehen, sehen die Kräfte und Zeichen mit ihnen wandern von Ort zu Ort, von Volk zu Volk, sehen die Völker sich bewegen, scheiden, Gottes Kirche sich sammeln, das Werk der letzten Stunde in voller Macht vorwärts schreiten, sehen, wie die selige Bewegung, welche den Himmel erfüllt, auch auf die Erde übergeht und wie die Erde durch die sich ausbreitende Kirche ein Vorhof des Himmels wird. Des sind wir fröhlich und wünschen uns, daß die Himmelfahrtsfreude der seligen Geister auch uns heimsuchen und voll Sehnsucht nach unsrer Himmelfahrt machen möge.


 Wo wäre Pfingsten ohne Himmelfahrt, wo ohne Himmelfahrt die ganze Pfingstzeit bis auf den heutigen Tag? An Seinem Auffahrtstage empfieng der HErr die Gaben und Kräfte, die Seine Kirche seitdem genießt. Vom Himmelfahrtstage beginnt die letzte schöne Stunde der Welt; am Himmelfahrtstag ist der Quell, der an Pfingsten herunterflutete und segensreich seitdem durch die Kirche strömt, im Himmel selbst eröffnet worden. Am Himmelfahrtstage schloß sich die Vorbereitungszeit auf Christi Königtum. Nun regiert Er. Nun vertraut man auf Ihn. Nun sucht man Ihn. Nun betet man Ihn an. Nun trachtet man nach dem, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. − Nun vertraut man, sucht man, betet man, trachtet man, habe ich gesagt. Gott verleihe, daß wir sprechen können: Nun vertrauen wir, nun suchen wir, nun beten wir, nun trachten wir! Gott verleihe, daß wir nicht bloß suchen, beten, trachten, sondern auch finden, danken und selig ruhen, wenn wir erwachen nach Seinem Bilde und Sein Angesicht ewig schauen! Amen.




Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/237&oldid=- (Version vom 4.9.2016)