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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

welche in den Worten unsers Evangeliums auf die Frage der Jünger liegt, befriedigte diese selbst vollkommen. Sie war ihnen nicht bloß völlig klar, sondern sie erkannten aus ihr auch die Allwißenheit JEsu, vermöge welcher Er nicht bedurfte, daß Ihn jemand fragte, weil Er Selbst alle Dinge wußte, − und sie schloßen aus ihr auf Seinen Ausgang von Gott. Ganz gemäß der Erkenntnis, welche die Jünger damals hatten, ist auch die unsrige. Auch wir erkennen in dem HErrn den allwißenden Lehrer, der von Gott ausgegangen ist. Ja unsre Erkenntnis könnte zum mindesten klarer und fester sein als die der Jünger, da wir nicht wie sie in der Zeit vor dem vollendeten Hingang JEsu leben, sondern nach demselben. Jedoch nicht von der Erkenntnis der Person JEsu Christi reden wir heute, nicht wer Er Selbst sei, werde heute ausgelegt. Was dieser Hohe und Erhabene im heutigen Evangelium zu Seinen Jüngern sprach, der Hauptinhalt Seiner Worte, sei Gegenstand unsrer Betrachtung.

 Das ganze Evangelium handelt vom Gebet und man nennt daher diesen Sonntag den Betsonntag. Der HErr, welcher die Worte unsers Textes ganz im Hinblick auf Seinen Hingang, auf Seine Himmelfahrt gesagt hat, welcher schon vor Seinem Leiden im Gedanken Seiner Vollendung und ewigen Herrlichkeit lebte, wollte, daß die zwischen Ihm und Seinen Gläubigen bestehende, durch Ihn zwischen Seinem Vater und Seinen Gläubigen aufgerichtete Verbindung auch dann fortbestehen sollte, wenn Er Selbst nicht mehr sichtbar unter ihnen wandeln würde. Als Verbindungsmittel, und zugleich als Mittel Sein Leben und Andenken immer aufs Neue zu erfahren, bestimmte Er das Gebet. Wir sollen beten, Er aber will von dem Throne Seiner Ehre Erhörung senden. An unserm Beten will Er unsre fortdauernde Liebe zu Ihm, an der Erhörung sollen wir Sein fortdauerndes Andenken an uns merken. Gebet und Erhörung sollen gegenseitige Lebens- und Liebeszeichen zwischen dem HErrn und Seinen Gläubigen sein.

 Jedoch redet der HErr nicht vom Gebet überhaupt, sondern von einer besondern Art des Gebetes, vom Gebet in Seinem Namen. Die Worte des HErrn sind immer voll unverhofften Sinnes und übersteigen, wenn Er sie spricht, all unser Ahnen. So ist es auch hier. Kein Mensch hätte sich einfallen laßen, auch hätte es keiner durch eigenes Nachdenken ausfindig machen können, daß es ein Gebet in JEsu Namen auch nur gebe, und daß es über alle andere Arten und Stufen des Gebetes erhaben sei. Es gehört dieß Gebet zu denjenigen Dingen, von welchen geschrieben steht, daß Gott sie über Bitten und Verstehen der Menschenkinder gebe und thue. Es steht unter den wunderbaren Gnadengaben des Reiches Gottes, welche die Welt nicht faßt, nicht versteht, mit oben an. − Um zu verstehen, was ein Gebet in JEsu Namen sagen will, wollen wir uns einmal den Ausdruck „im Namen eines andern etwas thun“ recht klar machen. Wer etwas im Namen eines zweiten thut, thut es nicht bloß in deßen Auftrag, so gewis auch das sein muß, sondern er thut es auch an seiner Statt und Stelle, als sein Stellvertreter. Des Königs Gesandte befehlen uns etwas in des Königs Namen, das heißt doch, sie befehlen uns so, daß wir ihre Befehle als Königsbefehle annehmen müßen, daß wir nicht sie, sondern den König ehren oder beleidigen, je nachdem wir gehorchen oder widerstreben. Gerade so ists nun mit dem Ausdruck: „Im Namen eines andern beten.“ Wir wollen uns einmal vorstellen, ein Israelite hätte das Recht gehabt, im Namen des Hohenpriesters ins Allerheiligste zu gehen und für seine Brüder zu beten. Was würde das geheißen haben, wenn nicht: Der Israelite, der in des Hohenpriesters Namen eintreten darf, ist zur Zeit seines Eintritts von dem, der im Allerheiligsten wohnte, dem Hohenpriester gleich geachtet; wenn er betet, so ist sein Gebet ein hohenpriesterliches Gebet. Daraus mache nun ein jeder den Schluß auf das Gebet in JEsu Namen. Wenn der Herr Seinen Jüngern zuläßt, in Seinem Namen zu beten, so legt Er auf sie alle Seine Würdigkeit, Sein Verdienst, Seine Herrlichkeit, kleidet sie in Seine hohenpriesterliche Zier und gibt ihnen die Versicherung, der Vater im Himmel werde sie eben so ansehen, als käme Er Selbst, der wahre, ewige Hohepriester, der Sohn Gottes und der Menschen, − werde auch ihre Gebete als eitel Gebete Seines eigenen Mundes, als hohenpriesterliche ansehen. Liebe Brüder! Wenn ich in eurem Namen am Altare stehe und bete, da bin ich vor Gott geachtet gerade wie ihr, − meine Würde ist keine andere, als die eure, eure Würde ist auf mich euern Stellvertreter übergegangen. Was ist aber das für eine kleine Würde gegen die, welche ich habe, wenn ich in JEsu Namen beten darf! In

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/226&oldid=- (Version vom 4.9.2016)