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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

wo ein Geschlecht kommt und das andere geht, wo Leben und Sterben sich drängt, bedarf man etwas Festes, das nicht wanket, auch nicht, wenn Belials und des Todes Bäche daran stoßen, − und das haben wir, die wir dem Evangelio geglaubt haben: es ist die Bekräftigung, die Jesus Seinen Worten zugegeben und unser Text uns aufbewahret hat, es sind die Worte: „Himmel und Erde werden vergehen, aber Meine Worte nicht.“ Hiemit bekräftigt der HErr alle Seine Worte, insonderheit aber die vom Ende, welche ich Ihm heute nachgesprochen habe. Zwar ist Er Sein eigener Zeuge, aber das ist gerade recht. Er nimmt kein Zeugnis von Menschen und sie können Ihm auch keines geben, denn Er ist über alle und die Wege des Endes, von denen Er spricht, sind keine Wege, welche Menschen kund geworden wären. Seiner Wahrhaftigkeit kann niemand etwas zusetzen; Seine Worte kann niemand bekräftigen, als Er; dann aber sind sie bekräftigt, daß Millionen darauf leben und sterben können in süßer Hoffnung. Wohlan, wie unsre Väter gethan, so auch wir! Legen wir getrost auf dieß Zeugnis Jesu von der Sicherheit Seiner Worte das Haupt; ruhen, leben, sterben wir darauf, daß Er Recht behalten werde gegen alle, die Seine Worte richten. Der Himmel, die Erde, alle Dinge werden vergehen und verschwinden: Sein Spruch aber, den Er gesprochen hat: „Himmel und Erde werden vergehen, aber Meine Worte vergehen nicht“ − der wird triumphiren und auf dem Staube stehn.

 Bei der Bekräftigung des Wortes Christi könnten wir uns vollkommen beruhigen, ohne mehreres. Aber Er selbst gewährt uns, wie bereits gesagt, für das, was Er uns verbürgt, noch ein besonderes Pfand und Zeichen. Unmittelbar vor der Stelle, die Seinem Worte eine längere Dauer sichert, als Himmel und Erde haben, spricht der HErr V. 32.: „Wahrlich, Ich sage euch, dieß Geschlecht wird nicht vergehen, bis daß es alles geschehe.“ Nicht auf das damals lebende Geschlecht von Menschen redet der HErr dieß Wort, denn es ist vergangen, bevor alles geschehen. Auch nicht von der Weltzeit oder dem Menschengeschlechte überhaupt redet Er, damit hätte Er den Seinigen nichts anderes gesagt, als was auch Seine Worte sagen: „Himmel und Erde werden vergehen, aber Meine Worte vergehen nicht.“ Er wollte wol nichts anderes, als zu allem, was Er sagte, ein sicheres Zeichen geben, durch welches die Seinigen immer und immer wieder an die Wahrhaftigkeit Seiner Worte erinnert würden. Dieß Zeichen ist das Geschlecht der Juden, wie es auch am Tage ist. Es ist nichts kleines, daß das jüdische Geschlecht bis auf diesen Tag so unaustilgbar, so unvermischt mit andern Geschlechtern, so kenntlich, so ganz in Gestalt eines Zeichens Gottes in der Welt ist. Viele Geschlechter sind ausgestorben, Völker sind vom Erdboden verschwunden, andere sind nicht unvermischt geblieben, haben neue Gestalten und Sprachen und Sitten angenommen, ihre Abkunft ist unkenntlich und dunkel geworden: die Juden sind seit länger als anderthalb Tausenden von Jahren unter allen Völkern zerstreut − und noch sind sie unvermischt, ihrer Sitte im Ganzen treu, und hartnäckig dem Sinn und den Meinungen ihrer gleich hartnäckigen Väter zugethan: sie sind ein Zeichen und Wunder unter allen Völkern bis auf diesen Tag, − und jeder Jude, der dir begegnet, schreibt sein eigenthümlich, jüdisch Dasein aus dem Spruch her, von dem wir reden, aus V. 32. unsers Textes. Der HErr, welcher alle Dinge trägt mit Seinem göttlichen Worte, trägt durch das Wort, das Er in unserm Texte gesprochen, das Geschlecht, von welchem Er selber stammt nach dem Fleische, durch die Zeiten hin bis ans Ende, und kein Rath, keine Macht der Menschen wird Ihm zuwider aus dem Geschlechte der Juden etwas anderes machen können, als es ist. Israels Hilfe und Errettung liegt am Abend der Welt, da wirds Licht werden, und Gott wird ihm helfen. Bis dahin sei uns jeder Jude, den wir sehen, ein Zeichen und ein Zeugnis, daß Jesu Worte Macht haben und behalten, daß sie wahrhaftig sind, daß Alles kommen wird, was Er gesagt hat und wie Er es gesagt hat, − daß Er allen Seinen Worten Kraft geben wird wie dem Worte, welches uns das jüdische Geschlecht zum Zeichen gesetzt hat.


 Von der Höhe des Beweises herabgestiegen zu sein, scheinen wir vielleicht, indem wir nach der Berufung auf Jesu klares, eidlich bekräftigtes Wort die Hindeutung auf das jüdische Geschlecht, auf dieß gewohnte Zeichen unter den Völkern folgen ließen. Es wird überhaupt für viele in unsern Tagen mit der Berufung auf Jesu Wort und Zeichen nichts ausgerichtet

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 011. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/22&oldid=- (Version vom 14.8.2016)