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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Herzschlag und am allgemeinen Zagen alle erkennen, daß die Veränderung der Welt gekommen ist. Bis dahin ists beßer, die Wirkung von der Zukunft Christi zu betrachten, als zu rechnen.

 Die Wirkung der Zukunft Christi wird nichts anderes sein, als das Ende des gegenwärtigen Zustandes der Welt und darnach die Erneuerung und Wiederherstellung jenes herrlichen Zustandes des Menschen und der Schöpfung, welcher uranfänglich dagewesen ist. Jedoch veranlaßt uns unser Text nicht, von dieser vollen, durchgreifenden Wirkung der Zukunft Christi zu sprechen. Er redet selbst nicht von dieser letzten Wirkung der Zukunft, ja er redet nicht einmal ausführlich von dieser Zukunft selbst, sondern verweilt mehr bei den ihr voraneilenden Zeichen, über welche die Jünger Belehrung verlangt hatten, und stellt das Kommen nur wie ein Ende der Zeichen hin. Er versetzt uns mit den Worten „Wenn dieses anfähet, zu geschehen“ in die Zeit unmittelbar vor dem Kommen Christi, unter die Zeichen hinein, welche darauf vorbereiten sollen. So wollen denn auch wir zunächst nur erkennen, welche Wirkung Seine Zukunft vor sich her senden wird zu der Zeichen Zeit, welchen Einfluß auf die Menschenwelt die Zeichen selber haben werden. „Auf die Menschenwelt,“ sagte ich, „denn auf sie zunächst, d. i. auf unsere eigne große Zukunft ist unser Auge gerichtet, nicht auf das Endgeschick der leblosen Creatur.“

 Jetzt, meine Brüder, ist die Welt jener Acker, auf welchem Walzen und Unkraut untereinander stehen. Dereinst wird es anders werden. Noch ist hienieden ein Gemisch, ein trauriges, unauswirrbares Wirrsal des Guten und Bösen, ein geistiges Chaos, in welchem sich Licht und Finsternis mengen und streiten. Am Tage des Herrn wirds anders, wiederhole ich. Der Herr wird richten, d. i. scheiden: die Elemente des Guten und Bösen werden sich entwirren und von einander ablösen; es werden Bündlein der Gerechten und der Gottlosen durch der Engel Hände ausgesondert und gebunden werden; aus dem Streite kommt dann hervor der Sieg des Guten und ein Unterliegen des Bösen; die Erde wird sammt ihrem Himmel erneuert werden und nur die Gemeine der Heiligen in ihre Wohnungen aufnehmen, die Hölle aber wird alles aufnehmen und unschädlich machen müßen, was nicht auf die neue Erde paßt. Jetzt ist eine Erde, ein Himmel, eine Hölle. Im Himmel ist nur Eine Stimme, die Wahrheit, − nur Ein Wille, der Wille Gottes, − nur Ein Reich, das selige. In der Hölle ist auch nur Eine Stimme, die Lüge, − nur Ein Wille, das Böse, − und nur Ein Reich, das des ewigen Elends. Die Erde aber liegt zwischen beiden wie mitten inne; um sie streitet Himmel und Hölle, Engel und Teufel nehmen sich ihrer an, − sie ist ein Vorhof des Himmels und der Hölle. Der HErr wirds ändern und die Erde dem Himmel zurechnen nach ihrer allerersten Bestimmung, ja, Er wird sie zum Kleinod des Himmels machen, daß man nicht mehr sagen wird „Himmel und Erde“, sondern allein „Himmel und Hölle“.

 Diese Scheidung wird beginnen, wenn die Kräfte des Himmels sich beginnen zu bewegen, wenn das Meer anfängt, Dem entgegenzubrausen, der da kommt. Ehe der HErr kommen und äußerlich die Schafe von den Böcken scheiden wird, scheiden sich bereits die Haufen durch innere Bewegung voneinander. Die Böcke, welche zur Linken, die Schafe, welche zur Rechten stehen sollen, man wird sie erkennen und sie werden sich zu erkennen geben, noch ehe der gerechte Richter Sein Urteil vernehmen läßt. Das innere Selbstgericht der Menschen wird mit dem Gerichte Christi völlig stimmen. Und dieses innere Selbstgericht der Menschen ist es, was ich die vorlaufende Wirkung der Zukunft Christi nenne. Gedenket unsers Textes, meine Brüder, und urtheilet, ob ich Recht habe. Bangen, Zagen, Verschmachten, Furcht und Warten wird dem einen Theile der Menschen zugeschrieben, dagegen dem andern ein freudiges Aufsehen, ein Aufheben der Häupter, ein Bewußtsein der nahenden Erlösung, eine von Gott geschenkte Macht, die Schrecken des Endes für einen beginnenden Frühling des ewigen Lebens zu erkennen. Ist das nicht eine sehr verschiedene Wirkung, ein gewaltiger Unterschied? Wir haben oben das Verschmachten der Menschen, das wir hier eine vorauslaufende Wirkung der Zukunft Christi nennen, ein Zeichen des jüngsten Tages genannt. Wir haben wol beide male nicht Unrecht. Aber haben wir Unrecht, wenn wir sagen: es werden die Einen den Andern zum Zeichen des jüngsten Tages werden: die verschmachtenden Böcke den hüpfenden Lämmern JEsu und diese jenen, und das wird sein eine vorauslaufende Wirkung Deßen, der kommt? Ja, das ist eine gewaltige Wirkung der Zukunft Christi! − Es steht geschrieben, daß dann „heulen sollen alle Geschlechter der Erde“ −

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 009. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/20&oldid=- (Version vom 17.8.2016)