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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

ist eine Werkstatt ewigen Lebens geworden, ein Ort, wo man den Tod verhöhnt und in Christo JEsu des Leibes unverwesliche Hoffnung rühmt.


 Zu diesem Orte kommen die Zuhörer oder vielmehr die Zuhörerinnen. Sie kamen freilich nicht in der Vermuthung, daß sie zu Kirche und Predigt kommen würden. Sie wollten zum Grabe kommen und den Leichnam Christi, der am Charfreitagabend eilends hatte gesalbt werden müßen, würdiger bedienen. Als echte Frauen dachten sie an weiter nichts, als ihrem HErrn und Seinem Leichnam ein Kleines zu erweisen; nach der wehmüthigsüßen Beschäftigung mit Seinen Ueberresten verlangte sie. Was sie in Sorge und Kümmernis versetzte, war nur der Grabstein. Das wußten sie wohl nicht, daß außer der Schwere des Steines noch etwas den Eingang verschloß, nur etwas Leichtes zwar, aber dennoch etwas, was hindernder im Wege stand als der Stein selber, nämlich das Siegel des Landpflegers. Ueber dem herzlichen Begehren, noch einmal ins erblaßte Angesicht zu schauen, die heiligen Glieder mit den armen Zeugnissen ihrer Liebe und Ehrerbietung, mit Salben und Spezereien zu umhüllen, hatten sie anfangs die Schwierigkeit ihres Unternehmens nicht bedacht, − und da sie ihnen auf dem Wege so weit ins Gedächtnis zurückkam, als sie ihnen bekannt war, und sie deshalb getrost hätten wieder umkehren können und dürfen, war dennoch ihr Zug zum Grabe so groß, und so ungern gaben sie ihr Vornehmen auf, daß sie zugiengen und bis zum Grabe kamen. Da, siehe, da war so Sigel wie Stein von hinnen, offen und leer war das Grab, kein Wächter war da, statt ihrer bewachten leuchtende Engel die heilige Stätte. Die Sehnsucht nach einem Todten hatte sie zum Grabe gezogen, und wie ganz anders finden sie alles! Kein erblaßtes Gesicht, kein Leichnam, nichts mehr von der irdischen Erscheinung Christi ist da, Er ist ganz weggenommen, himmlische Erscheinungen, unerwartete Gesichte laßen sich sehen, und ihr Geist soll von der Pflege des sichtbaren JEsus zur Anbetung des unsichtbaren erzogen werden. Der heilige Apostel sagt einmal, er kenne niemand mehr nach dem Fleische, auch Christum nicht. Das mußten die frommen Frauen lernen, das müßen in ihrem Maße alle lernen, welche geliebte, ihnen vormals angehörige Christen durch die Begräbnis für immer aus dem Auge verlieren. Es gilt, einen andern Begriff von den Todten zu faßen. Diese leben und sind für uns nicht weniger, als sie im zeitlichen Leben gewesen; aber etwas ganz anders sind sie geworden, heiligeren, vollkommeneren Wesens, uns vorangerückt in allen Stücken, und die vormals traulich, als unsers Gleichen neben uns einhergiengen, sind nun Gottes Heilige, die wir verehren. Das ist nun alles so anders, und daran muß man sich gewöhnen; deßen sich freuen zu können, will gelernt und geübt sein. Und das müßen nun auch die Frauen lernen und üben. Nicht mehr ihr geliebter Meister JEsus, dem sie nachfolgen, dienen, Speise reichen durften, ist JEsus; ihr näherer Dienst ist aus, in dem Dienst sind sie von himmlischen Heerschaaren abgelöst, sie sehen die glänzenden Engel, welche Ihm dienen. Er ist nicht mehr JEsus, der vor ihnen predigt, sondern von Ihm predigen Engel und sie hören zu. Er ist aus der Angst und dem Gericht, aus Noth und Tod genommen, der Engel Preis und Lied, − und vom vertraulichen Salben ist nun schon keine Rede mehr, gar keine Rede, sondern vom Glauben und von Anbetung.


 Was ist nun aber Inhalt der Predigt, die von Engellippen zu den Ohren der heiligen Frauen kam? Auch bei der Weihnachtspredigt des Engels zergliedert man sich gerne den gesammten Inhalt, um sie so recht zu Herzen zu faßen. Gerade dasselbe Verlangen hat man auch bei dieser Engelpredigt. Die Erfüllung des Verlangens könnte uns hiemit werden. − Das erste Wort, das von den Lippen der Engel fließt, ist Beruhigung. Entsetzet euch nicht! Nachdem es sich so geändert hat und Christi Sieg gelungen ist, sind Engel und Menschen berufen, eine ewige Heimat zu bevölkern, dieselbe Stadt Jerusalem zu bewohnen; eine Gemeinde Gottes sollen sie ewiglich sein, befreundet und von Gott zu ewigen Freuden zusammengeführt. So soll denn auch mehr und mehr das Entsetzen verschwinden, das der Mensch bei sich kundgebendem Nahen der seligen Geister empfindet. Nicht mehr eine Todesbotschaft, nicht mehr Offenbarung des fernen Abstands menschlicher Wesen von der Reinigkeit himmlischer Geister, sondern Lebensbotschaft

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/191&oldid=- (Version vom 28.8.2016)