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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

ist es hart. Das dritte Land hat keinen Raum für den Samen, bereits vorhandenes, vorherrschendes Unkraut erstickt ihn. Das vierte Land bringt reichliche, ja hundertfältige Frucht. In der Auslegung finden wir eine vierfache verschiedene Herzensbeschaffenheit in folgender Weise durch die vier Bodengattungen angedeutet. Wie es Wegland gibt, das von einer dicken, für die Saat unempfänglichen Kruste überzogen ist, so gibt es auch Herzen, welche von einer harten Kruste der Unempfänglichkeit umgeben sind. Gleichwie die Härtigkeit des Weglandes nicht natürlich, sondern durch die Füße der Wanderer hervor gebracht ist; so ist auch die Herzenskruste, von der wir hier zu reden haben, keine natürliche oder angeborene, sondern sie ist durch Menschen, also durch Verhältnisse, durch Erziehung und Umgang entstanden, das Werk der Welt und ihrer heillosen, für alles Göttliche abstumpfenden Gewöhnung. Bei abgestumpften Weltleuten ist keine große oder fast keine Wirkung des göttlichen Wortes zu erwarten, das lehrt uns der HErr im Gleichnis: ihre harte Weglandskruste ist zu hart und unempfindlich, als daß Gottes Wort haften und Wurzel schlagen könnte. Und damit ja nicht irgend ein Samenkorn in einer Rize der Kruste bis zu dem vielleicht doch noch vorhandenen, inwendig verborgenen beßern Lande gelange und da seine Wurzel einschlage, kommen die Vögel des Himmels, d. i. ohne Gleichnis die Engel und Boten des Satans, böse Geister und dem Satan verkaufte Menschen, und klauben sorgfältig allen Gottessamen auf. Es ist im Reiche des Satans eine große, ernste, anhaltende Beflißenheit, Gottes Einwirkung auf diejenigen zu verhindern, die sich der Welt und ihren Einflüßen hingegeben haben. Der Satan läßt das Werk der Welt, des Herzens äußere Härtigkeit nicht zerstören, und die Siege des Heiligen in Israel werden theuer bei den Knechten und Kindern der Welt und des Satans.

 Anders ist es mit dem zweiten Lande. Das eigentlich harte, felsige, steinige Land verwittert ein wenig auf der Oberfläche, dadurch und durch einige Zuthat von Menschenhänden oder andere äußere Ursachen entsteht auf ihm eine dünne Decke beßern Landes, welche die innere Beschaffenheit verschleiert. Der Säemann − aus Täuschung oder Tugend, − streut auf die dünne Decke seinen Samen. Der wird aufgenommen und bedeckt, keimt und sproßt; aber natürlich, bald ist die Wurzel auf dem Felsen angelangt, weiter kann sie nicht, ihre Sehnsucht nach warmer, feuchter Tiefe wird getäuscht und von innen heraus verdorrt nun die edle, betrogene Pflanze. Kommt nun vollends eine Wirkung von außen dazu, fallen die Strahlen einer heißen, Gottes Pflanzen ungünstigen Sonne auf das Kraut, das keinen Nachhalt aus der Tiefe hat, so ist des Samens gehoffte Frucht dahin, bevor es zum Fruchttragen kam. So, meine Freunde, sind die Herzen, die eine äußerlich empfängliche, verständige, empfindsame Weise haben, denen aber das Harte im Innern nicht geschmolzen, der Bann tiefinnerer Unempfindlichkeit nicht gelöst ist, denen es für das Evangelium, wie man sagt, an der rechten Tiefe fehlt. Das Herz ist nicht gebrochen; die natürliche Erstarrung für das Gute ist nicht weggenommen; da ist kein Gefühl, keine Gewisheit des gründlichen Verderbens, kein heller Blick in diese finstre Nacht, kein erwachtes und erstarktes, kein gründliches, dauerndes Verlangen nach einem neuen Wesen. Es ist alles noch das Alte − und das Bißchen äußere Erde und Weichheit ist weiter nichts, als ein Mittel des Selbstbetrugs, man gefällt sich in seiner oberflächlichen Empfindsamkeit, hält sie am Ende grade für das rechte Maß, in welchem die Einflüße des göttlichen Wortes zuzulaßen seien, − und so dient sie nur desto mehr zu einer unglücklichen Abwehr tieferer, durchgreifender Bemächtigung der Seele. Es muß kurzum erst gelungen sein, Buße im Herzen zu erwecken, ehe das göttliche Wort eine wuchernde Saat guter Werke und der Heiligung werden kann. Die Buße bereitet das Herz, macht es weich und tief empfänglich für alles Gute; wer aber den Stein im Herzen noch nicht gefunden und mit seinen Thränen erweicht hat, an dem ist die Saat verloren.

 Wenn in den beiden ersten Bodengattungen eine doppelte Verhärtung des menschlichen Herzens, die äußerliche und die innerliche, dargestellt wird; so hat man zugleich zu bedenken, daß die erstere schlimme Herzensbeschaffenheit die andere nicht nothwendig ausschließt. Es kann Ein Menschenherz beide Beschaffenheiten haben; es kann zur inneren Verhärtung auch die äußere Flachtretung und Kruste kommen, − und dann ist der Jammer doppelt groß, ja mehr als doppelt, wenn man bedenkt, daß der Mensch weder von dem einen, noch vom andern zu wißen pflegt.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/126&oldid=- (Version vom 28.8.2016)