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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und die Dornen giengen mit auf, und ersticktens. 8. Und etliches fiel auf ein gut Land; und es gieng auf, und trug hundertfältige Frucht. Da Er das sagte, rief Er: wer Ohren hat zu hören, der höre! 9. Es fragten Ihn aber Seine Jünger, und sprachen, was dieses Gleichnis wäre? 10. Er aber sprach: Euch ists gegeben, zu wißen das Geheimnis des Reichs Gottes; den andern aber in Gleichnissen, daß sie es nicht sehen, ob sie es schon sehen, und nicht verstehen, ob sie es schon hören. 11. Das ist aber das Gleichnis: Der Same ist das Wort Gottes. 12. Die aber an dem Wege sind, das sind, die es hören, darnach kommt der Teufel, und nimmt das Wort von ihrem Herzen, auf daß sie nicht glauben und selig werden. 13. Die aber auf dem Fels, sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an; und die haben nicht Wurzel; eine Zeit lang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. 14. Das aber unter die Dornen fiel, sind die, so es hören, und gehen hin unter den Sorgen, Reichtum und Wollust dieses Lebens, und ersticken und bringen keine Frucht. 15. Das aber auf dem guten Lande, sind, die das Wort hören und behalten in einem feinen guten Herzen, und bringen Frucht in Geduld.


 BEi diesem Evangelium betrachten wir zuerst die Lehren, welche uns der HErr in demselben gibt, sodann wollen wir einiges von der Form, welche der HErr hier und in andern Texten gebraucht, bedenken − und endlich machen wir die Anwendung auf uns selbst.

 Das Evangelium belehrt uns über die Wirkung des göttlichen Wortes auf die Menschenseelen unter dem Bilde einer Aussaat. Es ist, das lernen wir aus unserm Texte, mit dem Gedeihen des Wortes Gottes gerade wie mit dem Gedeihen des Samens. Das Gedeihen des Samens hängt, wenn er selbst gut ist, vornemlich von der Beschaffenheit des Bodens ab, auf welchen er ausgestreut wird. So gedeiht der Same des göttlichen Wortes auf dem Boden des menschlichen Herzens, wofern nicht die Beschaffenheit des letzteren hindernd entgegen tritt. Gottes Same, Sein heiliges Wort, ist über alle Samen gut, denn Gott ist es, von dem er stammt. Er ist voll Kraft und wirksam, wie kein anderer Same, denn er ist Same des lebendigen und allmächtigen Gottes und von Ihm ausgestreut, um zu nützen. Weil er von dem allgewaltigen und unwiderstehlichen Gott kommt, so könnte man auch seine Triebkraft und Wirkung für unwiderstehlich und alle Hindernisse überwältigend halten; man könnte hierin einen gebührenden Unterschied zwischen anderem Samen und Gottes Samen finden; aber gerade das ist eben die Offenbarung Gottes in unserm Evangelio, daß sich Gott rücksichtlich des Gedeihens Seines Samens und der Wirkung Seines Wortes Schranken gesetzt und beschloßen habe, Sein Wort nicht unaufhaltsam wirken, sondern vor der hemmenden, hindernden Kraft des Bodens d. i. Herzens zurücktreten und den Widerstand der Menschenseele erleiden zu laßen. Der HErr bleibt Sich allewege treu. Wie hier, so finden wir auch sonst in Seinem Worte dieselbe Lehre ausgesprochen. Er gebietet z. B. Seinen Jüngern, in die Häuser und Städte zu gehen und ihnen den Friedensgruß Seines Evangeliums zu bieten; werde der Gruß aufgenommen, so solle der Friede selbst zu den Bewohnern eines solchen Hauses oder einer solchen Stadt kommen; werde er nicht aufgenommen, so solle der Friede zu den Jüngern zurückkehren und sie selbst sollen dann auch weggehen aus solchem Hause oder Orte, und wo man das Wort nicht aufnehme, wo das Wort weiche, da sollen auch die Träger und Diener des Wortes weichen. Das ist dieselbe Lehre wie in unserm Texte. Je nachdem der göttliche Same aufgenommen wird, je nachdem er die Herzen gewillet und geeignet findet, je nachdem wird der Segen gegeben, je nachdem reift eine Aernte.

 Diese allgemeine Lehre des Textes wird uns nun in einer vierfachen Anwendung desto tiefer eingeprägt. Es wird uns eine vierfache Beschaffenheit des menschlichen Herzens und eine dadurch bestimmte vierfache Wirkung des göttlichen Wortes gelehrt, indem das Gleichnis von Saat und Boden weiter ins Einzelne geführt und das Gedeihen des Samens in vierfach verschiedenem Boden gezeigt wird. − Die erste Gattung des Bodens wird als hart getretenes Wegland geschildert, die zweite als von Natur hartes Land, die dritte als weiches, aber unreines, bereits von anderem Gewächs in Besitz genommenes Land, die vierte als gutes, weiches, tiefes, reines Land. Auf dem ersten Lande bleibt der Same zu Tage liegen und wird durch Wirkung von außen her weggenommen oder verderbt. Das zweite Land hat die Härte nicht zu Tage, sondern einige oberflächliche Empfänglichkeit, aber innen

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/125&oldid=- (Version vom 28.8.2016)