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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Müßte ich eines entbehren, so entbehrte ich den Lohn: aber Seligkeit entbehren, um deren willen ich geboren bin und gelebt habe, − nein, das wollte, − mein Gott, mein Gott! das könnte ich nicht!

 Liebe Brüder! Es arbeitet mancher immerfort um einen Erfolg und Lohn, den er alsdann mit den kalten Worten empfängt: „Nimm das Deine und geh hin!“ Ein anderer arbeitet kürzer, empfängt auf Erden aus lauter Gnade dasselbe Looß − und dazu das ewige Leben. Ein dritter scheint einen Augenblick alles zu verlieren, Vater und Mutter und Bruder und Schwester und Glück und Frieden, dann bekommt ers hundertfältig wieder, wie der HErr sagt, und in jener Welt das ewige Leben. Es giebt also Letzte, welche Erste werden, und Erste, welche Letzte werden, und unter diesen sind viele nicht auserwählt, sondern gehen mit ihrem Groschen dahin ihren Weg. Ob ich im Lohne der erste oder der letzte werde: gleichgiltig ist mirs gar nicht; aber auserwählt sein und das ewige Leben ererben von meinem HErrn, das sei mein Trost, wenn ich darbe, hungre und dürste in der Stunde des Abschieds! −

 Wir sind lange berufen; es wird Abend werden, wer weiß, wie bald! Wohl uns, wenn wir auserwählt erfunden werden! Drei mal Gott zu loben, wenn wir als auserwählte Arbeiter in Gottes Weinberg erfunden werden, wenn wir selig werden und herrlich! Seligkeit und ewiger Lohn, Gnade und Preis und Ehre und unvergängliches Wesen, der HErr hat es verbunden, will es uns beides geben, will daß wir nach beiden ringen! Dürfen wir andere Gedanken faßen? Ists recht, in unserm Streben zu trennen, was Gott vereinigt hat, − nur Seligkeit zu wollen und sonst nichts? Ists nicht eine falsche, eine träge, eine verwerfliche Demuth, mit geringer Würde im ewigen Reiche zufrieden sein zu wollen? Ists gesundes Leben, zu beten: „ich will Dich lieben ohne Lohne,“ wenn doch der HErr und Sein Lohn uns winkt, wenn Er spricht: „Ich komme und mit Mir Mein Lohn!?“ Es ist ja Sein Wille, daß wir nach ewigen Belohnungen ringen! Er zeigt uns Kronen, um uns zu reizen, zu stärken und geduldig zu machen im guten Kampfe, und wir sollen die edle, schöne Lehre von Gottes gnädigen Belohnungen Ihm nach gebrauchen, um einander zur Geduld und guten Werken zu ermuntern. So laßt uns denn anschauen die Kronen, die uns vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo JEsu, und laßt uns beten und ringen, nicht allein zu entfliehen alle dem, das gedroht ist, sondern auch zu erlangen, was verheißen ist. Und wenn wir im Guten träg gewesen, wenn die Hände laß, die Kniee strauchelnd geworden sind, weil wir nicht wußten, was es uns gilt, weil wir etwa wähnten, nach den Gnadenbelohnungen Gottes nicht streben zu sollen, weil wir es für Hochmuth hielten: so sei es nun anders und wir seien geheilt vom eitlen Wahn! Ist irgend eine Tugend, ist irgend ein Lob, ist irgend ein Lohn oder eine Krone, so wollen wir laufen und nicht müde werden − und unser Verständnis der Lehre vom Gnadenlohne, unser Eifer, es anzuwenden, komm uns zu Statten, und überzeuge so Freunde, wie Feinde, daß evangelische Christen durch die Lehre von der Gnade, für die sie leben und sterben, nicht faul, noch unfruchtbar werden, sondern mächtig und schäftig, die eigenen Seelen zu erbauen und die Aernte des Weinbergs zu fördern, auf die wir warten. Der HErr helfe uns! Amen.




Am Sonntage Sexagesima.

Evang. Luc. 8, 4–15.
4. Da nun viel Volks bei einander war, und aus den Städten zu Ihm eileten, sprach Er durch ein Gleichnis: 5. Es gieng ein Säemann aus zu säen seinen Samen; und indem er säete, fiel etliches an den Weg, und ward vertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßens auf. 6. Und etliches fiel auf den Fels; und da es aufgieng, verdorrete es, darum daß es nicht Saft hatte. 7. Und etliches fiel mitten unter die Dornen;
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/124&oldid=- (Version vom 28.8.2016)