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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

die angeführten über allen Zweifel erhaben wären und uns die volle Erlaubnis gäben, diese erste Frage als beantwortet zu betrachten und weiter zu gehen. Gott ist ein rechter Richter, Er wird es mit der That beweisen und beweist es bereits alle Tage, daß Er einen Lohn hat und austheilt.

 2. Aber eine andere Frage ist die: worin besteht der Lohn? − Der Hausvater im Gleichnis versprach den ersten Arbeitern, welche er in seinen Weinberg miethete, einen Groschen zum Tagelohn: was bedeutet dieser Groschen in der Auslegung? In Beantwortung dieser Frage könnte man sagen: Der Abend ist das Ende der Welt, der Schaffner ist Christus, der Groschen ist das ewige Leben. Damit hätte man allerdings das ewige Leben in Verbindung mit dem Verhalten der Menschen gebracht und ewiges Wohl und Wehe von dem Verdienste Christi los und von den Werken der Menschen abhängig gemacht, und widersprochen wäre damit allen den Stellen der heiligen Schrift, welche das Gegentheil sagen, ja diese Stelle wäre einzig in ihrer Art, weil sie allein ewiges Leben als eine Frucht unserer armseligen Werke darstellen würde. Und was ohne Zweifel auch zu erwähnen ist, woraus die Widersinnigkeit dieser Auslegung zuallernächst dargethan werden könnte: es empfiengen die einen, welche des Tages Last und Hitze getragen, das ewige Leben wirklich als Lohn, nach Vertrag und Recht, und die weniger gearbeitet haben, empfiengen es aus Gnaden, weil diese doch jeden Falls nicht Anspruch darauf machen könnten, so viel zu empfangen, wie die andern, die den ganzen Tag gearbeitet haben. Es wäre dann im Verhalten Gottes allerdings eine Ungleichheit. Was aber noch mehr hervorgehoben werden muß, ist das: murrende, neidische, undankbare, d. i. ungeheiligte, unreine Seelen könnten dennoch eine Arbeit leisten, welche Gott mit dem ewigen Leben bezahlete, im ewigen Leben gäbe es Reine und Unreine und der Himmel wäre, wie die Erde, ein Gemisch von Guten und Bösen, wo keine Scheidung zwischen Schafen und Böcken, kein Gericht eingegriffen und eine Versammlung von wahrhaft Heiligen hergestellt hätte. Wozu dann der Himmel? Was für einen Vorzug vor der Erde hätte er dann? Was für eine Seligkeit wäre bei ewigem Gemisch des Guten und Bösen zu denken? Und warum müßte dann die arme Seele den Leib verlaßen, als nur dazu, ewige Seelenpein zu finden, − warum ihn am jüngsten Tage wieder annehmen, als um ihre Qual voll zu machen?

 So viel sehen wir also doch wohl klar, das ewige Leben ist nicht der Groschen, und damit haben wir zur Lösung unsrer Frage die Hauptsache schon gewonnen. Es liegt mächtig viel daran, so recht zweifelfrei und unangefochten zu wißen, daß das ewige Leben ein freies Gnadengeschenk des großen Gottes ist, und daß keinerlei Werke des Menschen die Gnade erwerben können, „die uns errett vom Sterben.“ − Indes so hohen Werth die gewonnene Erkenntnis für uns hat, völlig zufrieden geben können wir uns damit doch nicht. Wir müßen nicht bloß wißen, was der Groschen nicht sei, sondern auch was er sei, was wir unter dem Lohne zu verstehen haben, der auf die Arbeit der Arbeiter, auf das Verhalten der Menschen gesetzt ist.

 Ehe wir nun hierauf die einfache Antwort geben, sei es mir erlaubt, ein wenig abzuschweifen. Es geschieht nur, um zum voraus den möglichen Misverstand unsrer Antwort zu beseitigen. − Im gewöhnlichen Leben wird der Lohn nach der Arbeit abgewogen. Mag nun die Arbeit in dem ihr zugemeßenen Lohne wirklich etwas ihr Gleiches an Werth finden, wogegen sie sich austauschen kann, oder mag der Maßstab, den man hiebei anlegt, auf Einbildung beruhen, das ist gleich; genug daß es hiefür einen Maßstab gibt, der allerseits als richtig anerkannt, nach welchem zu Recht geurtheilt wird, und daß es ein allgemein geltender Grundsatz ist: Wie die Arbeit, so der Lohn; der Lohn wird nach Verdienst gegeben. Diese Gedanken müßen ganz und gar aus der Betrachtung weggelaßen werden, die wir über den Gotteslohn begonnen haben. Der Hausvater wird mit den Arbeitern eins über einen Groschen zum Taglohn, er bewilligt einen Groschen, er hätte ihn verweigern können, es war, − wenigstens im Sinne der richtigen Auslegung ist das so − es war reine Güte, daß er ihn bewilligte, und verdienter Lohn war er für die, welche den ganzen Tag gearbeitet hatten, eben so wenig als für die, welche nur eine einzige Stunde im Weinberge thätig gewesen waren. Der Mensch ist keines Lohnes werth, keine seiner Thaten verdient etwas bei Gott. Wenn Gott einen Lohn für dieß oder das festsetzt, so ist Norm und Regel aus dem Reiche der Gnade genommen und die wahre Lehre von dem Gotteslohne schließt alles menschliche Verdienst aus. Gnadenlohn ist der rechte Name

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/119&oldid=- (Version vom 28.8.2016)