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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

tiefbefriedigte, wonnevolle Wohnen der Auferstandenen jenseits alles Wechsels zwischen Licht und Finsternis ist mehr. Aber gegenüber unsern gewöhnlichen Zuständen ist doch die selige Bestürzung der Jünger etwas Herrliches gewesen, und ich möchte nicht leicht irgend etwas Anderes auf Erden höher rühmen. Es war doch jeden Falls eine Stufe aufwärts zu der vollkommenen Ruhe und Freude, von welcher Mose und Elias kamen.

 Es sollte aber freilich noch anders werden. Während Petrus die entzückten Worte sprach, kam eine lichte Wolke, und die heiligen Propheten giengen, wie St. Lucas erzählt, in die Wolke hinein, ähnlich wie einst Mose in den Tagen seines Fleisches nach 2. Mos. 24, 18. in Gottes Wolke hinein gieng. Mose und Elias wurden von der Wolke überzogen, auf die Jünger aber fiel ein leichter Schatten der wunderbaren Wolke. So lange JEsus mit Mose und Elia im hellen Lichte stand, so lange nur Menschen den Menschensohn umgaben, wenn schon selige, verklärte Menschen; so lange waren die Jünger eitel Wonne und Freude, und ihre Bestürzung war keine unangenehme. Als aber das dichte, schattenwerfende Lichtgewebe der heiligen Wolke zwischen sie und die Himmlischen trat und sie, wenn man so sagen kann, im lichten Dunkel standen, da wurde den Jüngern schreckenvoll zu Muthe, sie ahnten eine höhere Gegenwart und ihr Herz ward verwandelt; die Wolke der Herrlichkeit, die einst auf der Bundeslade geruht hatte, war über ihnen; staunend und erwartungsvoll standen sie; sicher kein leiser, eigener Gedanke regte sich in ihren Seelen. Da fiel aus der Wolke eine Stimme, die sprach mit Menschenworten: „Dieß ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören.“ − „Mein lieber Sohn,“ − also redete der Vater, der hochgelobte Gott! „An dem ich Wohlgefallen habe,“ − also sprach einer, der Wohlgefallen auch diesem verklärten Sohne zutheilen konnte, der über dem Sohne nicht minder erhaben war, wie andere Väter über andere Söhne! „Den sollt ihr hören“ − wer soll ihn hören? Doch zunächst die, an welche die Stimme geschieht, Petrus, Jacobus, Johannes. Also waren sie von dem Vater erkannt, beachtet, gesucht, gefunden, angeredet; also sind sie in einem persönlichen Verhältnis zu dem Ewigen! Das ist so eben offenbar geworden; Gott hat sie selbst angeredet! Es ist nichts Neues, was sie hören; es ist ihnen bekannt; aber so haben sie es noch nicht gehört. Sie sind nun freilich dem Eingebornen ganz vereinigt, aber durch welchen starken, ausgereckten Arm! Gott hatte selbst sie Seinem Sohne vertraut. Kein Wunder, wenn in ihrem Herzen die Psalmenstimme vernommen wurde: „Ich fürchte mich vor Dir, daß mir die Haut schauert,“ − wenn geschah, was geschrieben steht: „Da das die Jünger höreten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschracken sehr.“ Anbetung und Furcht überfielen sie. Es geschah ihnen wie Jacob in der Wüste, wie Daniel, da er den HErrn sah (10, 8 f.), wie dem heiligen Propheten und Apostel Johannes (Offb. 1, 17.): es blieb keine Kraft in ihnen, wie Todte sanken sie in den Staub, sie wurden des Daseins Gottes inne, und ihr Nichts, ihr Elend vor Ihm wurde ihnen offenbar. − Ach, Brüder, was für eine Offenbarung war das für die drei Apostel! Je mehr man versucht, sich hineinzudenken, desto mehr verstummen beide, Zunge und Gedanken. Was können wir da sagen? Aber begreifen können wirs, daß diese Nacht der Verklärung einen unauslöschlichen Eindruck auf die Herzen der Jünger hervorbrachte. Es war lange hernach, daß St. Petrus seinen zweiten Brief schrieb, es war kurz vor seinem Tode, da er alt geworden war und nun gegürtet werden sollte, zu gehen, wohin er nicht wollte. Dennoch ist es das frischeste Andenken, das sich in seinen Worten (2. Br., 16–18.) ausspricht: „Wir haben nicht den klugen Fabeln gefolgt, da wir euch kund gethan haben die Kraft und Zukunft unseres HErrn JEsu Christi, sondern wir haben Seine Herrlichkeit selbst gesehen, da Er empfieng von Gott dem Vater Ehre und Preis, durch eine Stimme, die zu Ihm geschah von der großen Herrlichkeit dermaßen: ,dieß ist Mein lieber Sohn, an dem Ich Wohlgefallen habe‘ Und die Stimme haben wir gehört vom Himmel gebracht, da wir mit Ihm waren auf dem heiligen Berge.“ −

 Todesschrecken war über die Jünger gefallen, wie über Daniel und Johannes; aber wie diesen legte auch ihnen der HErr Seine heilende, segnende Hand auf und unter den freundlichen Worten: „Stehet auf und fürchtet euch nicht!“ brachte Er sie zu dem gewöhnlichen, irdischen Leben zurück. Alles war vorüber; als sie ihre Augen aufhuben, sahen sie niemand als JEsum allein. Sie fanden Ihn allein, aber Er wird ihnen dennoch ein ganz anderer gewesen sein als zuvor; der Glanz

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/114&oldid=- (Version vom 28.8.2016)