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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

am Ende heilsamsten Entschluß aus, „im Dunkeln wohnen“ zu wollen bis zum großen Tage, an dem Er Recht behalten wird und rein bleiben gegen alle, die lieber Seine heiligen Wege meistern, als trotz alles scheinbaren Widerspruchs an Seine Gerechtigkeit und Gnade glauben wollen. Ob diese Antwort denen genug sein wird, welche über die Folgen des traurigen Gemisches von Gutem und Bösem klagen, das sich auf Erden findet? Ob sie nicht sprechen werden: „Dunkel war uns die Sache schon zuvor, und es liegt keine Beruhigung darin, daß du uns aus dem Texte nachweisest, daß sie wirklich dunkel sei!?“ Möglich, daß diese Einwendung gemacht wird. Dagegen aber ist doch zu bemerken, daß es ein großer Gewinn und eine tiefe Beruhigung der Seelen ist, bei dem Blick in eine Dunkelheit zu wißen, Gott wohne im Dunkel, wolle drin wohnen und verbiete jeglichen Versuch, es aufzuhellen. Und wenn nun vollends die Dunkelheit von der Art ist, daß ihr Gott Selbst die Schrecken nimmt, daß Er sie als eine Dunkelheit der Gnaden verkündigt: wie dann? Ist dann nicht alles geschehen, was zur Beruhigung dient? Ich denke, ja. Nun ist aber die Dunkelheit, die über dem Mischlingszustande der Welt ruht, ausdrücklich als eine solche bezeichnet, die in der Gnade ihren Grund hat. Indem der HErr den Knechten das Ausgäten deshalb verbietet, weil sie Waizen mit dem Unkraut ausraufen könnten, ist nicht bloß Seine Sorgfalt für den Waizen ausgesprochen, sondern auch gesagt, daß des Waizens mehr sei, als die Knechte erkennen, − daß manches für Unkraut gehalten werden könnte, was Waizen ist, − daß mancher Waizenstock vom Unkraut umschlungen sein und beim Ausgäten mit ausgerauft werden könnte, daß dann die menschliche Blindheit und das menschliche Ungeschick ein zu unbarmherziges Gericht ausüben würde, − daß der HErr von vielem Unkraut noch Umwandlung zu Waizen und für vielen Waizen, der durch Unkraut zu ersticken scheine, unter Seiner Segenshand noch Rettung hoffe. Ist nun nicht aus diesen Worten Christi offenbar, daß die Dunkelheit, welche über dem Gemisch der Welt liegt, doch nichts anders ist, als Liebe und daß der HErr voll Gnade ist? Wenn nun gleich die jammervollen Folgen des Mischzustandes der Welt zum Himmel schreien; so ruft doch vom Himmel eine göttliche Stimme der Barmherzigkeit die Zagenden zur Geduld und verheißt ihnen die volleste Befriedigung am Ende. Fügen wir uns drein, faßen wir uns im Glauben, legen wir uns vertrauensvoll an des HErrn Brust und mit uns die ganze Welt, laßen wir uns zu keinem Gedanken an Menschenhilfe bewegen, heben wir nie die Hand gen Himmel, um Feuer und Blitze zu empfangen, laßen wir Gott alleine walten: Er wird es alles versehen, und wird für alles, auch für das Trost gewähren, wofür der Trost unmöglich scheint.


 Schon in dem bereits Gesagten ist die Grenze der Geduld Gottes angegeben. Gott wird sich nicht immer gedulden, sondern Seine Geduld, die noch kein Ende hat, wird doch ihr Ende finden am Tage des Gerichtes. Davon spricht der letzte Theil des Gleichnisses im Texte: „Um der Aernte Zeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammlet zuvor das Unkraut und bindet es in Bündlein, daß man es verbrenne, aber den Waizen sammlet mir in meine Scheuern.“ Und die Erklärung dieser Worte ist uns in unserm Textcapitel selbst aufbewahrt. Denn so spricht der HErr V. 39–42: „Die Aernte ist das Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel. Gleichwie man nun das Unkraut ausgätet und mit Feuer verbrennt; so wirds auch am Ende dieser Welt gehen. Des Menschen Sohn wird Seine Engel senden, und sie werden sammeln aus Seinem Reiche alle Aergernisse und die da Unrecht thun, und werden sie in den Feuerofen werfen, da wird sein Heulen und Zähnklappen. Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich!“

 Was das Gleichnis in verhüllter Weise sagt, das predigt die Auslegung auf das Zuversichtlichste, die Wahrheit nemlich: der Mischlingszustand hört auf; er überdauert die Zeit und Grenzen dieser Welt nicht; in jener Welt ist, was Gott nicht gesäet, von Seiner Saat und Aernte geschieden. − Und nicht bloß diese einfache Wahrheit liegt in Christi Worten. Zur Bestätigung derselben wird der Verlauf erzählt, in welchem die Scheidung des Gemisches erfolgen soll. Achtet dieses Verlaufes, meine Freunde! Erst werden alle Aergernisse und die da Unrecht thun, wie Unkraut aus der Erde ausgezogen, in Bündlein gesammelt und in den Feuerofen geworfen, − dann leuchten die Gerechten wie die Sonne in ihres Vaters Reich. Die Erzählung sagt nicht, daß die Gerechten wie Waizen von

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 097. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/108&oldid=- (Version vom 28.8.2016)