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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

für eure Sünden und seid nicht kleingläubig! Es wird die Hilfe auf unserm Schifflein geschehen und von Ihm ausgehen auf alle Schiffe, und der HErr wird alsdann von allen Seine Jünger holen und sie zum Hafen der ewigen Ruhe bringen. Er wird uns helfen und allen Seinen Kindern auf allen Seinen Schiffen. − Noch ruhst Du, HErr? Nein Du schläfst nicht mehr. Wir hören Deine Stimme, Dein treffendes Wort vom Kleinglauben. Richt uns auf, o Du Stärke Deiner Auserwählten, daß wir schauen Deine Ehre und das Werk Deiner Hände preisen. Laß uns schauen, daß Du, der rechte Gott, bist zu Zion − und laß uns und alle Schiffe in Zions Lichte segeln, bis wir ewig in Hütten des Friedens ruhen! Amen.




Am fünften Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.

Evang. Matth. 13, 24–30.
24. Er legte ihnen ein ander Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säete. 25. Da aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säete Unkraut zwischen den Waizen und gieng davon. 26. Da nun das Kraut wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut. 27. Da traten die Knechte zu dem Hausvater und sprachen: HErr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesäet? Woher hat er denn das Unkraut? 28. Er sprach zu ihnen: Das hat der Feind gethan. Da sprachen die Knechte: Willst du denn, daß wir hingehen und es ausgäten? 29. Er sprach: Nein! auf daß ihr nicht zugleich den Waizen mit ausraufet, so ihr das Unkraut ausgätet. 30. Laßet beides mit einander wachsen bis zur Aernte; und um der Aernte Zeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammlet zuvor das Unkraut, und bindet es in Bündlein, daß man es verbrenne; aber den Waizen sammlet mir in meine Scheuren.

 ES ist ein Gedanke aus dem reichen Evangelium des zweiten Adventsonntages, welcher in unserm heutigen Evangelium besonders herausgehoben und zu einem Gegenstande der Belehrungen JEsu und unsrer Betrachtung gemacht wird. Damals erinnerten wir (S. 9), die Welt sei ein unseliges Gemisch von Bösen und Guten, welches nicht eher als am Ende der Tage sich entwirren und in seine Elemente auflösen würde. Heute beschäftigt sich unser Text ganz und gar mit diesem Gemisch und erzählt uns, woher es komme, warum und wie lange es geduldet werde. Laßet uns miteinander zu dem HErrn JEsu in die Schule gehen und die Rede Seines Mundes hören, bewegen und bewahren.

 Die Knechte des guten Säemanns treten gemäß unserm Evangelio zu ihm und befragen sich über die Menge des Unkrautes auf seinem Waizenfelde. So lautet das Gleichnis. Und die Auslegung dazu gibt der HErr selbst V. 36–43. in unserm Textcapitel. „Der Acker ist die Welt. Der gute Same sind die Kinder des Reiches. Das Unkraut sind die Kinder der Bosheit.“ Also auf dem Acker der Welt stehen und leben untereinander „Kinder des Reiches und Kinder der Bosheit.“ So sagt der HErr, und wer sieht es nicht, daß Sein Wort völlig wahr ist? Wie Er Selbst unter Seinen zwölf Boten einen Judas, ein Kind der Bosheit hatte; so finden sich in jeder Gemeinschaft außer dem Waizen, den Frommen und Kindern Gottes, Kinder der Bosheit und Unkraut genug. Und wäre nur die Zahl der Bösen unter den Guten immer dieselbe wie bei den Jüngern Christi, wäre doch immer nur ein Zwölftel der ganzen Anzahl böses Unkraut? Aber so ist es nicht! Das Unkraut wuchert im Reiche Gottes, wie auf andern Aeckern, und kommt an Menge hie und da dem Waizen gleich, ja übertrifft ihn. Sehen wir nur um uns in der nächsten Nähe! Besuchen wir die Einwohner dieser Pfarrei von Haus zu Haus, wecken wir in uns die Erinnerungen an alles auf,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 093. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/104&oldid=- (Version vom 28.8.2016)