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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und verstumme!“ Dieß Wort von Seinen Lippen ist bekannt im Reiche der Natur und der Hölle; wenn es erschallt, greift es mächtig durch, schafft es Ruhe, bringt es Freude. Ach, wie oft ist die Kirche des HErrn seit achtzehen hundert Jahren in Noth und Gefahr gewesen, daß man ihr ein Grablied anzustimmen begann! Wie oft hat sie selbst im Gefühle schweren Drucks und großer Leiden, und im feurigen Schmerze der eigenen Verschuldung gerufen: „Wir verderben!“ Die Wolken schienen zu reißen: der Regenbogen zu lügen, eine Sündfluth, ein Vertilgungskrieg vom HErrn zu kommen, die Hilfe unmöglich zu sein – – und auf einmal wars anders; unbemerkt war eine Saat und Aernte göttlicher Erbarmung gereift, und erkannt mußte werden, daß die Hilfe längst bereitet war, daß wir sie nur nicht erkennen konnten, weil wir uns selbst noch nicht erkannt und unser Auge noch nicht in Thränen der Buße gebadet und hell gemacht hatten. Es wird immer so sein! Von Noth in Noth und von Hilfe in Hilfe werden wir wandeln bis die Schrecken der letzten Zeit erscheinen und der Sommer der Ewigkeit nahe kommt. Denn wenn die Noth am größten, wird die Hilfe am herrlichsten werden, und es wird geholfen sein für immer und ewig!

 Bis dahin wird es gehen, wie wir schon gesagt. Mancherlei Laut und Ruf, weil mancherlei Stufe des Glaubens, wird es in der Kirche geben, und die Klage wird mit dem Lobgesang wechseln. Dann aber wirds anders. Dann kommt das Schiff zum ewigen Ufer. Der Wechsel hört auf. Thräne, Klage, Hilferuf, Bitte verstummt − und Dankpsalm und Lobgesang und Anbetung werden ewig währen. Das Dreimalheilig und das Gloria der Engel und Auserwählten wird die Ankömmlinge empfangen und es wird geschehen, wie es geschrieben steht: Ewiger Jubel wird das Haupt umfangen − und unser Herz wird ewiglich leben.


 Freunde, die Geschichte vom Schifflein Christi ist euch noch einmal in weiterer Aussicht vor die Augen gebracht worden, − und bei allem, was ich sagte, habe ich eins zurückgehalten − das möcht ich noch zum Schluß erwähnen. Der Evangelist Marcus erzählt uns, daß nicht bloß das Schifflein, auf welchem Christus fuhr, sondern zugleich mehrere mit ihm die Noth und Hilfe erfuhren. Die andern Schiffe fuhren wohl alle in Begleitung JEsu, aber der HErr und Seine Jünger waren auf einem beisammen. Sie kamen, weil sie mit JEsu schifften, alle in JEsu und Seiner Jünger Noth und Sturm, − und weil sie mit Ihm waren, sahen sie alle Seine Wunder, erfuhren sie alle Seine Hilfe, es werden auch auf allen Schiffen manche Seelen näher zu Ihm gezogen und mit Ihm vereinigt worden sein. Dennoch aber blieb das Schifflein, wo Seine Jünger waren, die Ihm allewege nachfolgten, Seine Wohnung, Seine Ruhe, Sein Ort der Verherrlichung, der Ausgangspunkt der Hilfe für alle. Soll ich euch das deuten? Auf dem Meere der Welt fahren, JEsum zum Ziele aller Seiner Thaten zu geleiten, manche Schiffe, und auf ihnen befinden sich die mancherlei Gemeinschaften, die sich Seiner und Seines Namens nicht schämen. Aber nur auf einem Schiffe wohnt Er, und dieß Schiff ist der segensreiche Mittelpunkt, der Ausgangspunkt des Heils für alle andern. Dieß Schiff der heiligen Mitte − es ist die Gemeinschaft, die wir vorzugsweise unsre Kirche zu nennen pflegen, sie, die in Schimpf und Ernst den Namen von dem edlen Schiffsmann Martin Luther trägt. Auch die Reisenden auf diesem Schiffe sind mangelhaft; der Sturm, den ihr Schifflein, wie alle, leidet, bewegt ihre Seelen tief, − die Ruhe und das Gleichgewicht ist ihnen oft verschwunden und sie haben manchen Jammerschrei ertönen laßen, da sie hätten können Frieden haben und ihre schönen Lobgesänge singen. Doch ist der HErr in ihrem Schiff und in ihrer Gemeine: Seines Mundes Hauch, Sein theurer Leib, Sein heiliges Blut, Sein guter Geist im Waßer sind bei und unter ihnen − und ihr Bekenntnis geht auch in der Angst zu Ihm, und nur zu Ihm schreit ihr Herz. Dieß Schiff ist Sein. Er schilt die Jünger, die auf demselben fahren, − aber Er hilft ihnen auch, − und sie loben Ihn dafür ohne Ende, und die Gnade, welche ihnen widerfährt, genießen alle andern Schiffe, je nach ihrem Antheil, mit. − So ist es! Schüttelt ihr die Häupter? Sehet ihr Den nicht, der unter euch schläft und bereits schilt? Schämt ihr euch eures Vorzugs vor den andern Schiffen und ihrem Neide? Um nicht beneidet und bescholten zu werden, wollt ihr etwa lieber sagen, trotz aller Zeichen Seiner Gegenwart, der HErr sei nicht in eurem Schiff? Wollt ihr den HErrn verleugnen? Daß Er nur euch nicht verleugne! Daß Er nur nicht von euch gehe! Daß ihr nur nicht Schiffbruch leidet! Thut Buße

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 092. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/103&oldid=- (Version vom 28.8.2016)