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lange her auf eine „helle apostolische Tradition, welche zur Erklärung der h. Schrift dienen und ihr ebenbürtig sein soll“; aber man ist uns bis auf den heutigen Tag die Antwort auf die Frage schuldig geblieben: „Wo ist diese Tradition?“ Es ist keine Schrift der Väter vorhanden, welche uns die Traditionen der Apostel überlieferte. Niemand hat die mündlichen Sprüche der Apostel gesammelt, als apostolisch erwiesen und auf uns gebracht. Es ist kein catalogus traditionum vorhanden. Die Tradition ist ein uns völlig unbekanntes X, ein Dunkel, von dem wir, weil es uns nie gelichtet wurde, nicht wißen, wer in ihm hause, ob es heilig oder unheilig sei. Und doch soll sie gleiches Ansehens mit der h. Schrift sein und klarer als diese und soll Lösung aller Fragen und Räthsel der Schrift verschaffen (NB. der Fragen und Räthsel, deren Lösung man gerne nicht aus der Schrift selbst entnimmt). – Es ist ein armer Nothbehelf, wenn man auf unsre Frage die Antwort durch einen ehrerbietigen Fingerzeig auf die Brust eines menschlich hochgestellten Mannes gibt oder geben will. Ja, es ist lächerlich, daß Einer, der vor andern nichts voraus hat, als Zeitliches, der Schrein aller der Weisheit der Apostel sein und sein Mund in unzweifelhaften Reden sich ergießen soll, so oft die Wünschelruthe gelegentlicher Fragen die heilige Brust berührt. Der Nothbehelf hat oft im Stiche gelaßen, das beweisen nicht blos viele völlig mislungene Schriftauslegungen und Anwendungen, die sich in kundgewordenen Schreiben römischer Bischöfe finden; das beweist auch so manches tiefe Schweigen jener Schiedsleute, wo sie hätten reden können und sollen, wenn sie im Besitze göttlicher Wahrheit gewesen wären. Es gibt hier Fälle, in denen unwidersprechlich jeder Einfältige beßer die Schrift auslegen könnte, als es von Seiten der Männer geschah, denen Millionen Urtheil und Spruch zutrauten. – Nicht minder ist es ein Nothbehelf, wenn man die Ueberlieferung der Apostel in die Aussprüche des Papstes und der Concilien setzen will. Gleichviel ob diese mit jenem, diese ohne jenen, diese unter jenem, diese über jenem sprechen, wie die Gegner selbst in unglückseliger Ungewisheit und Spaltung proponiren; es bleibt doch unläugbar, daß unter jeglichem der angegebenen Verhältnisse zwischen