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der Güte der Berufeswerke verklärt. Es gibt da kein gemeines und ungemeines Leben mehr; sondern ungemeine Liebe übt sich im gemeinen Leben. Es gibt da keine Trennung von Gebot und Rath, von Mönch und Weltmann, von Priester und Laie: es ist einerlei Heiligkeit bei allen Gläubigen. Ein jeder dient dem HErrn an seiner Stelle – und jede Stelle wird so ein Altar des Lobopfers Gottes, ein Verherrlichungsort seines Namens, ein Schauplatz heiliger Liebe! – Darum öffne man nur die Augen, so wird man Heilige genug bei uns finden, wenn auch nicht unter mönchisch ausgezeichnetem Gewand, sondern verborgen im Habit des täglichen Lebens. – Gott geb uns unserer Heiligen viele, und schenk uns ihren Glanz zu schauen an jenem Tag, auf den es ankommt!


10. Wunder und Weißagungen sind kein Kennzeichen der Kirche.


 Daß die Wunder und Weißagungen der Propheten und Apostel der Wahrheit den Weg zu den armen Menschenkindern bahnen halfen, ist gewis. Die Wahrheit bedarf der Wunder und Weißagungen freilich nicht, sie ist über beiden, und offene Augen erkennen sie an dem ihr eigentümlichen Wesen und an der ihr eigentümlichen Sprache auch ohne Wunder. Aber es gibt viele Einfältige, viele von Vorurteilen Eingenommene, viele Träge und Schwache, welche der Wahrheit kein Ohr verleihen, wenn sie nicht auf irgend eine Weise besonders aufgeweckt und aufgerüttelt werden. Für sie sind Wunder und Weißagungen besondere Gnadenwohlthaten Gottes. Darum würde sich auch, wie wir mit den alten Kirchenvätern zugestehen, der schnelle Lauf des Evangeliums ohne die mitfolgenden Zeichen und Wunder nicht wol begreifen laßen, ohne ein Wunder anzunehmen, welches denn doch alle wirklich vorgekommenen Wunder überträfe.

 Nachdem freilich die Wahrheit und ihre Kirche in der Welt einmal eingeführt ist und seit 18 Jahrhunderten sich der Menschheit so sehr bewährt hat, bedarf sie der Empfehlung durch Wunder nicht mehr, nicht