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zu bieten. Die griechische Sprache, die Sprache des Neuen Testamentes, gebraucht wieder abwechselnd zwei Ausdrücke für Versöhnung: der eine bedeutet mehr eine Veränderung im Verhältnis herbeiführen und der andere heißt mehr den andern günstig stimmen. Die hebräische Sprache, auch hier wieder die tiefste, wie sie nach Luthers richtig gemachter Bemerkung besonders reich ist an Zeitwörtern, die sämtlich Stammwörter sind, nicht erst von andern abgeleitet zu werden brauchen, die hebräische Sprache hat für den Gedanken der Versöhnung den Ausdruck des Zudeckens, daß also das zugedeckt wird, was scheidend, trennend zwischen zwei hineingetreten ist. Es braucht nicht erst gesagt zu werden, wie besonders tief gerade dieser Ausdruck ist für das, um das es sich uns handelt. Jedenfalls aber ist der Gedanke überall der, daß etwas inmitten liegt zwischen Gott und uns, was gleichsam überbrückt, was ausgeglichen werden muß. Daß etwas inmitten liegt zwischen Gott und uns, das bezeugt uns auch unser Gewissen. Woher all die Unruhe des Gewissens? Woher die Erfahrung, der Augustin Ausdruck gab: Unser Herz ist unruhig in uns, bis daß es Ruhe findet in Gott? Weil etwas zwischen inne liegt, weil dem Menschen durch sein Gewissen bezeugt wird nicht im rechten Verhältnis zu Gott zu stehen. Und wie oft muß des Gewissens Unruhe sich zu Vorwürfen des Gewissens steigern. Das Gewissen ist der stille Mahner, der besonders in einsamen Stunden sich geltend macht. Manchmal bricht diese Mahnung und Strafe des Gewissens wie mit Macht und Gewalt hervor. Wer hätte nicht erlebt, daß anscheinend kleinere Versehen und Unterlassungen aus früheren Jahren oft späterhin erst mit Macht vor uns hintreten und uns der Uebertretung zeihen? Daß etwas mitten inne liegt zwischen Gott und uns, das bezeugen auch die Religionen aller Völker und aller Zeiten. Denn was ist der gemeinsame Gedanke alles dessen, was man Religion nennt? Die Gewißheit, es gibt eine höhere Welt, es gibt eine höhere Macht, die in unser Leben bestimmend herein wirkt. Ob man diese Kraft auf der niedersten Stufe des Geisterglaubens, des sogenannten Sintoismus, des Ahnenkultus der ostasiatischen Völker zu erkennen glaubt in den Geistern der Verstorbenen, die bald hemmend bald fördernd eingreifen, ob man nach dem Standpunkt höher stehender Heidenvölker sittliche Gewalten oder imposante Naturkräfte für Gott ansieht, immer ist die Religion die Erkenntnis davon, daß es eine höhere Macht und eine höhere Welt gibt, die in dies Leben hereinwirkt und das Bestreben aller Religionsbetätigung ist diese höheren Mächte günstig zu stimmen. Da liegt immer der Gedanke inmitten: es ist etwas dazwischen und der Mensch muß etwas Ausgleichendes suchen. Im Zusammenhang damit steht der Gedanke der Opfer, die schon an der Schwelle der Menschheitsgeschichte uns entgegentreten. Das Opfer ist immer eine Leistung des Menschen