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6. Stunde
am Montag, den 27. November, vormittags 9 Uhr.
Lied 272, 1. 2. 6. 7. Psalm 49, 1–16. Kollekte 213, 21.
Von der versöhnenden Liebe in dem Werke Jesu Christi.

Wenn Gott die Liebe ist, so wird daraus zu folgern sein, daß die Liebe etwas Göttliches ist, wenigstens die wahre Liebe, die Liebe, die nicht sich selbst meint und sucht, sondern nur andern sich aufschließen, andern sich hingeben will. Von dieser Liebe wird man sagen dürfen: sie ist nicht menschlich, sie wächst nicht auf dem Boden des natürlichen Herzens. Es ist uns manchmal ein Trost bei Menschen, die äußerlich dem kirchlichen Leben fern stehen, wenn sie die Kraft haben ein großes Maß wahrer Liebe zu erweisen, daß man hoffen darf, daß in ihnen doch mehr Leben aus Gott wohnt, als sie selbst wissen und mindestens zu erkennen geben. So mag uns das in der Gegenwart ein Trost sein bei denen, die ihr Leben für das Vaterland, für eine höhere Sache hinzugeben willig und freudig sind. Aber freilich das alles darf nur von der wahren Liebe gesagt werden und wie wenig wahre Liebe gibt es im Grunde. Wie vielfach tritt uns verkehrte Liebe entgegen, wie viel Fleischliches mischt sich in die Liebe hinein, wie viel Selbstisches! Prüfen wir uns, ob wir nicht tief im Grunde uns selber und unsere eigene Art lieb haben, wenn wir Anderer Liebe in so hohem Maß in Anspruch nehmen. Ja, wie oft decken sich geradezu die ärgsten und schwersten Sünden mit dem Vorwand der Liebe. Wie viel findet sich auch unter Christen Irriges und Verkehrtes in dem Lieben! Denken wir nur an die Eifersucht und an die Schwärmerei!

 Wir haben uns nun in der vorigen Stunde die Liebe Christi vor Augen gestellt, die Liebe, die ihn trieb, die ihn herabführte in diese Welt. Ja, das ist ein lauterer Strom der Liebe, der sich da ergoß. Da ist nichts Selbstisches, Ungeordnetes, nur lautere, heilige Liebe. Wie aber in Christo Heiligkeit Gottes und Liebe Gottes in der wunderbarsten Weise zusammentreffen, das soll sich uns jetzt erst zeigen. Wir haben uns den Lebensgang unseres Heilandes und Erlösers in Erinnerung gerufen und denselben darzustellen gesucht als eine stete Betätigung der Liebe, aber welch heilige Liebe hat der Herr in seinem ganzen Leben erwiesen! Ueberall, wohin er kam, hat er Liebe gespendet, aber auch stets sich als den erzeigt, den niemand konnte einer Sünde zeihen. Welch großes Vorbild hat er mit dieser seiner heiligen Liebe gegeben: den Kindern, noch