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reden. Wo die persönliche Liebe zum Ausdruck kommt, da wird sich ein jeder an den Menschgebornen wenden, denn in ihm ist uns ja Gott so nahe gekommen, daß wir ihn fassen dürfen und daß in ganz anderem Sinn nun Gott geworden ist als unsereiner, da die Menschen in falschem Selbständigkeitsgefühl werden wollten wie Gott, ja sich über Gott erhoben. Hier darf man auch auf die sog. Jesuslieder hinweisen. Dieselben gehören ja allerdings einer etwas späteren Zeit der Geschichte des evangelischen Kirchenliedes an. Die ältesten Lieder, die Lieder der Reformation könnte man füglich als Bekenntnislieder bezeichnen. Es ist das Bekenntnis der Kirche, das felsenfeste Vertrauen, das sich darin ausspricht. Dann folgen mehr, wofür Paul Gerhardt der charakteristische Repräsentant ist, die Glaubenslieder; später, zur Zeit des Pietismus, die Frömmigkeitslieder, wie man sie nennen möchte und zu ihnen gehören besonders die Jesuslieder. Ist auch nicht zu leugnen, daß in einzelnen derselben das Gefühlige etwas zu stark hervortritt nach der Art des Pietismus, so ist es doch eine durchaus berechtichte Erscheinung der christlichen Erkenntnis und Frömmigkeit auch die Liebe zu Gott, wie sie im Menschen durch den Geist Gottes erweckt ist, zum Ausdruck zu bringen. Und wie schon gesagt, wenn das Liebesverhältnis Gottes zum Ausdruck gebracht werden will, wird es sich sonderlich auf Christum beziehen, auf ihn, in welchem wir Gott zum Vater haben. Und so finden wir auch in der Geschichte des evangelischen Kirchenliedes früher schon einzelne Lieder ähnlicher Art; denken wir etwa an Philipp Nicolais Brautlied der gläubigen Seele: „Wie schön leucht uns der Morgenstern,“ in dem das Liebesverhältnis zu Jesu als Ausklang der Gedanken des Hohenliedes so gewaltigen Ausdruck findet! Und hat nicht schon Luther in seinem Kinderlied auf Weihnachten von dem Kindlein Jesus auch gesungen: „Ach mein herzliebes Jesulein!“ Ja, wie ist es anders möglich, als daß die Liebe hervorbricht zu Jesu, durch den wir zum Vater kommen? Und das ist sicher Sinn und Meinung der Schrift. Dafür beziehen wir uns auf die Worte der Apostel, insbesondere des Petrus, der so beweglich davon spricht am Eingang des ersten Briefes: „den wir nicht gesehen und doch lieb haben.“ Wir beziehen uns auf Johannes: „Wir lieben den, der uns zuerst geliebt hat,“ und wie herzinnig braucht Johannes von dem, den er lieb hatte ohne ihn zu nennen, oft nur den Ausdruck „Er.“ Er kennt nur einen, den seine Seele liebt. Und ebenso auch Paulus. Da ist nicht nur zu nennen sein ernstes Wort: „So jemand den Herrn Jesum nicht lieb hat, der sei anathema maranatha, der sei verflucht; denn du bist Herr –“ wir können auf das Wort von der Liebe Christi, die doch alle Erkenntnis übertrifft, uns beziehen. Ja wir beziehen uns auf Jesum selber, der an Petrus nach seiner dreimaligen Verleugnung, da er ihm das Apostelamt bestätigt, die dreimalige