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5. Stunde
am Samstag, 25. November, vormittags 9 Uhr.
Lied 284. Psalm 36. Kollekte 208, 7.
Von der Liebe, die in Christo offenbar geworden ist.

Ein hervorragender Schrifttheologe der Vergangenheit, verehrte Schwestern, der vielen das Verständnis der Schrift geöffnet hat und nicht wenigen ein Führer zum Leben geworden ist, aber freilich auch in schroffer Sonderstellung dem kirchlichen Leben abgewandt war, hat öfter dagegen geeifert, daß man nicht vom „lieben“ Gott reden solle, es widerstreite das der Ehrerbietung, die wir Gott schuldig seien und man vergeße dabei den Ernst der göttlichen Heiligkeit und pflanze denselben nicht genugsam schon den Kindern ein. Nun ist ja wahr, daß die Anrede an Gott „lieber Gott“, in der heiligen Schrift sich nicht findet, nicht einmal die Anrede „lieber Vater; denn wo es Röm. 8, 15 so heißt, hat Luther aus dem Geist der deutschen Sprache heraus diese Anrede „lieber“ Vater eingesetzt, da es im Griechischen heißt: Abba, d. i. o Vater. Ferner ist ja wohl richtig, daß alles schließlich zur Redensart werden kann, auch das Heiligste und daß man bei jeglicher Nennung des Namens Gottes, ob man die Anrede faßt, wie man will, der Ehrerbietung und der andächtigen Gesinnung ihm gegenüber nie irgend ermangeln darf. Und richtig ist selbstverständlich, daß Gott der Heilige auch ein verzehrend Feuer ist. Aber wir erinnern uns doch daran, daß wir ausgegangen sind von dem Johanneischen Wort: Gott ist die Liebe und daß so viel in der Schrift geredet wird von der Liebe zu Gott. Und so werden wir uns gewiß nicht nehmen lassen, vom lieben Gott zu reden und ihn auch anzureden „lieber, himmlischer Vater.“ Es entspricht dies sonderlich dem deutschen Gefühl. Mit einer gewissen Andacht haben unsere Väter – und man kann das auch jetzt aus dem Munde alter Leute noch hören – geredet vom „lieben“ Tag, von der „lieben“ Sonne, vom „lieben“ Brot und damit diese irdischen Dinge als etwas Höheres, Gottgegebenes bezeichnen wollen. Wie sollten wir uns die Anrede an Gott rauben lassen „lieber Vater?“ Wenn es in Andacht und Ehrerbietung geschieht, entspricht das ganz und völlig der Meinung der hl. Schrift; denn Gott will von uns Liebe haben als Höchstes, Liebe von ganzem Herzen und von ganzem Gemüt. Darin stimmt das alte und das neue Testament, darin stimmen Moses und die Propheten, ja auch Christus und die Apostel zusammen. Vollends aber wird niemand es sich und seinen Kindern rauben lassen vom „lieben Heiland“ zu