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Zorn. Hieraus ergibt sich die Frage für jeden ernst Denkenden: Wie kann ich wieder in das rechte Verhältnis zu meinem Gott und Schöpfer kommen? Für aufrichtig heilsverlangende Seelen wird die Frage lauten: Was kann ich tun, damit ich dennoch selig werde? Und für erschrockene Gewissen wird die Frage heißen müssen: Wie kann ich dem zukünftigen Zorn entrinnen? Auf diese Frage wissen die Menschen von sich aus keine Antwort. Die Menschheit hat den Rückweg zu Gott aus sich selbst nicht finden können; sie kamen vielmehr immer weiter von Gott ab. Einzelne Menschen, wie einzelne Völker sanken vielmehr immer tiefer. Wo kann da Rettung und Hilfe herkommen? Da bleibt nur die eine Möglichkeit, der Gedanke, der nie in eines Menschen Herz kommen konnte, der alles Denken übersteigt, daß nämlich Gott von sich aus, aus Gnade, aus Liebe und Erbarmung eine Rettung des menschlichen Geschlechtes ermöglicht. Das ist der göttliche Liebesratschluß, der zum Erlösungsratschluß geworden ist. Wir fassen heute wenigstens den Anfang desselben ins Auge und reden

von der erziehenden Liebe Gottes in der Vorbereitung des Erlösungswerkes.

 Diese erziehende Liebe Gottes betätigt sich:

1. in der die Menschheit tragenden, göttlichen Geduld,
2. in der Zurüstung des menschlichen Geschlechtes für das Heil,
3. in der Zurichtung des Heils für das menschliche Geschlecht und
4. besonders noch in der erziehlichen Bedeutung des göttlichen Gesetzes.


I.

 Wir haben heute Vormittag zum Schluß noch von dem Gericht gesprochen, das Gott über die Sünde hielt und das wir erkannten als ein Vorbild des Gerichtes, das Gott einst halten wird am Abend der Welt. Nur auf einen gewaltigen Unterschied durften wir dabei aufmerksam machen: Das letzte Gericht, das Endgericht läßt nur den Zorn Gottes sich ergießen über die Sünder, dagegen dieses erste Gericht über die sündig gewordenen Menschen erweist sich zugleich als Gnade. Es ist, was das Urteil Gottes über die Sünder anlangt, auffällig, daß da nur vom leiblichen Tod geredet wird, daß der Mensch wieder soll zur Erde werden, davon er genommen ist und daß nur leibliche Mühsal, irdisches Leid es ist, was wie dem Weibe so dem Mann, jedem in seinem Berufe, von Gott auferlegt wird. Von der ewigen Strafe der Sünde hören wir nichts. Das mag sich einigermaßen erklären aus der Form des Berichtes, der auf uralte Ueberlieferung des Menschengeschlechtes