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und seiner Gnade an das Herz. In dieser Gnadenbotschaft stimmt das Alte mit dem Neuen Testament zusammen; denn es redet doch immer wieder auch von der Erbarmung Gottes. Und das Neue Testament zeigt uns dann, wie uns Christus allein die Gerechtigkeit erworben hat, die vor Gott gilt und wie sein teueres Verdienst allein unsere Sünde vor Gott kann zudecken. Der heilige Geist, so sagten wir gestern, bringt uns dazu, daß wir die im Wort uns dargebotene Zusage annehmen als auch uns geltend, uns gehörend. So wird das Zeugnis der ewigen, unendlichen Liebe Gottes in unsern Herzen wirksam, wird von uns selbst erfahren und erlebt. „Niemand weiß, als der’s errungen, was die Liebe Christi sei.“ Ja fest und zuversichtlich können wir dann die Liebe Gottes erfassen. Wie kommt es also zum Erleben der Liebe Gottes? Nicht so, daß es nur eben ein subjektives, persönliches Erleben allein wäre; nein, es kommt auf diese Weise zu einem neuen Verhältnis zu Gott. Das ist in uns begründet schon in der heiligen Taufe; nun kommt es in uns zur Kraft. Die Taufe verleiht uns das Kindesrecht, der Glaube setzt uns in den Kindesstand. In der Taufe hat die Liebe Christi uns erfaßt, durch den Glauben erfassen wir die Liebe Gottes und lieben nun den, der uns zuerst geliebet hat: „denn darin stehet die Liebe zu Gott, nicht daß wir Gott geliebet haben, sondern daß er uns geliebet hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünde.“ Von uns aus betrachtet, ist das dann das Stehen im Gnadenstand, von Gott aus betrachtet, ist es die Rechtfertigung. Von der Rechtfertigung haben wir zu reden, wenn wir von dem Ergreifen der Liebe Gottes reden wollen und es soll kein Unterricht vergehen, der die Glaubenslehre der Kirche ganz oder in einzelnen Teilen darbietet, ohne von der Rechtfertigung geredet zu haben, dem Artikel, mit dem die lutherische Kirche steht und fällt. Was das Wortverständnis betrifft, so ist die alte Streitfrage zwischen römischer und evangelischer Anschauung, ob rechtfertigen heißt gerecht machen, wie es die römische Kirche auffaßt, daß der Mensch allmählich durch die eingeflößte Gnade zu einem Gerechten umgestaltet werden soll oder ob es vielmehr so viel bedeutet als für gerecht erklären. Die entscheidende Grundstelle ist schon im alten Testament (1. Mose 15) „Abram glaubte dem Herrn und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.“ Das klingt dann aus dem 32. Psalm wieder, wo es heißt: „Wohl dem Menschen, dem der Herr die Missetat nicht zurechnet“, und Röm. 3 und 4 legt es der Apostel Paulus, der Prediger der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, ganz ausführlich auseinander. Der Herr selbst hat es angedeutet im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner und hat Luk. 17, 10 jenes Wort gesprochen, das jegliches eigene Verdienst vollkommen ausschließt: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan,