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So sprang die ganze Herde durch das Wasser auf die eiserne Brücke; dann drangen sie ins Höhlenschloß ein, wo Töpfe und Herde, Tassen und Schüsseln in reicher Zahl sich fanden. Alles aber war aus Stein. Die andern ehrten nun den steinernen Affen als ihren König, und er ward genannt: der schöne Affenkönig. Er ordnete die Meerkatzen, Paviane und die übrigen Affen zu Beamten und Räten, Dienern und Helfern, und sie führten ein seliges Leben auf dem Berge, schliefen nachts in ihrem Höhlenschloß, hielten sich fern von Vögeln und Tieren, und der König genoß der ungebundenen Seligkeit. Darüber vergingen wohl an die dreihundert Jahre.

Eines Tages, als der Affenkönig mit seinen Affen bei fröhlichem Mahle saß, begann er plötzlich zu weinen. Erschrocken fragten die Affen, was ihn inmitten all dieser Seligkeit auf einmal so traurig mache. Der König sprach: „Wohl sind wir frei von der Menschen Gesetz und Recht, wohl wagen Vögel und Tiere nicht, uns etwas anzuhaben; doch werden wir allmählich alt und schwach, und eines Tages kommt die Stunde, da der Tod, der Alte, uns davonschleppt. Im Nu sind wir dahin und können nicht länger auf der Erde weilen.“ Als die Affen diese Worte hörten, verhüllten sie ihre Gesichter und schluchzten. Da trat ein alter Affe aus der Reihe hervor, dessen Arme so in Verbindung standen, daß er den einen um den andern verlängern konnte. Der sprach mit lauter Stimme: „Daß Ihr, o König, auf diese Gedanken kommt, das zeigt, daß das Suchen nach Wahrheit in Euch erwacht ist. Unter allen lebenden Wesen gibt es nur drei Arten, die der Macht des Todes entnommen sind: die Buddhas, die seligen Geister und die Götter. Wer eine dieser drei Stufen erreicht, der entgeht dem Rad der Wiedergeburt und lebt solange wie der Himmel.“ Der Affenkönig sprach: „Wo wohnen denn diese drei?“ Der alte Affe erwiderte: „Sie wohnen in Höhlen und heiligen Bergen in der großen Welt der Menschen.“ Der König war erfreut, als er das hörte, und erklärte

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_352.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)