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betrunken bin, mußt du dich von mir fernhalten, damit ich keine Schneeflocke sehe.“

Lächelnd versprach sie es ihm.

Eines Tages war er schwer betrunken und rief heftig nach Schneeflocke. Schneeflocke trat in bezaubernder Schönheit herein. Yüo Dschung betrachtete sie lange. Da kam plötzlich eine große Freude über ihn, und er begann wie verrückt herumzutanzen.

„Ich bin erwacht, ich bin im Weine zu mir gekommen vom Licht der Erde. Diese Wohnung hier, darin ich wohne, ist das Himmelsschloß.“

Es dauerte lange, bis er abließ.

Von da ab trank er nicht mehr auf dem Markte, sondern trank mit Schneeflocke zusammen. Schneeflocke, die sich vom Weine fernhielt, tat ihm Bescheid in Tee.

Eines Tages war er etwas angeheitert und fuhr mit Schneeflockes Hand über seine Seite. Da entdeckte sie die Schnittnarben an seinen Beinen, die sich in zwei rote Lotosknospen verwandelt hatten und zwischen dem Fleisch hervorkamen. Sie verwunderte sich; er aber sagte lächelnd „Wenn du diese Blumen sich öffnen siehst nach zwanzig Jahren, dann hat unsere Scheinehe ein Ende.“ Und Schneeflocke glaubte ihm.

Nachdem für Schmerzenreich eine Lebensgenossin gefunden war, übergab Schneeflocke die Hausgeschäfte allmählich der jungen Frau und zog sich mit Yüo Dschung in einen andern Hof zurück. Der Sohn und seine Frau kamen täglich dreimal, nach den Eltern zu fragen. Aber nur schwierige Sachen legten sie ihnen zur Entscheidung vor. Sie bestellten zwei Dienerinnen, die eine, um Wein zu wärmen, die andere, um Tee zu kochen.

Eines Tages war Schneeflocke bei dem jungen Paare. Die Schwiegertochter hatte vieles zu erledigen, und es dauerte lange, bis sie zurückkam. Schmerzenreich ging mit, um nach dem Vater zu sehen. Als sie zur Tür hereintraten, da sahen sie Yüo Dschung barfuß auf dem Bette sitzen.

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_348.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)