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ein Pilgerzug sich zusammentat. Er verkaufte zehn Morgen Land, nahm den Erlös und schloß sich ihnen an. Doch die Pilger wiesen ihn zurück, da er nicht rein sei. Er bat sie flehentlich, da ließen sie ihn mit. Auf dem Wege aber war das Zimmer, wo er wohnte, immer voll von dem Geruch nach Ochsenfleisch, Knoblauch und anderen unreinen Speisen. Darum verabscheuten ihn alle um so mehr. Als er einmal betrunken schlief, benutzten sie die Gelegenheit und gingen weiter, ohne ihm etwas zu sagen. So mußte er denn einsam seines Weges ziehen.

Als er an die Grenze von Fukien kam, traf er einen Bekannten, mit dem er ein Glas Wein zusammen trank. Da saß auch eine berühmte Sängerin mit Namen Schneeflocke. Als er von seiner Reise nach dem Südmeer sprach, da äußerte Schneeflocke den Wunsch, sich ihm anschließen zu dürfen. Yüo Dschung war froh und ließ ihr Gepäck holen. So reisten sie zusammen ab. Sie teilten alles miteinander; doch hielten sie sich keusch zurück. Wie sie zum Südmeer kamen, da hatten die Pilger ihr Reinigungsopfer eben vollendet, und als sie ihn nun mit einer Sängerin zusammen daherkommen sahen, da mißbilligten und verlachten sie ihn noch mehr als zuvor, und sie hielten ihn für zu gemein, um mit ihm zusammen ihr heiliges Werk zu vollbringen.

Yüo Dschung und Schneeflocke sahen ihre Gedanken. So warteten sie, bis jene hingegangen waren zu beten. Danach gingen auch sie. Die andern waren fertig mit Beten; sie waren unzufrieden, daß kein Zeichen sich zeigte. Da traten Yüo Dschung und Schneeflocke zu ihnen und warfen sich zur Erde. Plötzlich sah man das ganze Meer voller Lotosblumen. Auf den Lotosblumen saßen Gestalten, die Kronen auf ihrem Haupte trugen, von denen Perlen herabfielen. Schneeflocke hielt sie für Heilige. Yüo Dschung aber sah näher zu, da trugen; die auf den Lotosblumen saßen, alle die Züge seiner Mutter. Eilig lief er hin und rief: „Mutter! Mutter!“ und sprang ins Meer

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_345.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)