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ist etwas, dem wir Menschen nicht entgehen. Was braucht Ihr Euch darum zu kümmern, Alter? Ich bin bereit zu gehen, aber meine Frau muß mit mir.“

Der Alte widersprach nicht. Er winkte seiner Tochter, ihm zu folgen. Dann führte er ihn zur Hintertür hinaus. Kaum war er vor der Tür, da schlugen Vater und Tochter sie zu und verschwanden. Er sah sich um. Da sah er eine steile Felswand vor sich ohne die kleinste Ritze noch Spalte. Einsam und verlassen stand er da und wußte nicht, wohin sich wenden. Er blickte zum Himmel auf. Der schräge Mond strahlte hoch droben. Die Sterne waren schon am Verblassen. Lange stand er erregt da. Er tat sich selber leid und machte sich doch auch Vorwürfe. Er kehrte sich der Wand zu und rief. Aber da war keine Antwort. Ergrimmt holte er seine kleine Hacke aus dem Gürtel und begann sich einen Weg hineinzugraben. Er grub und schalt. Im Augenblick war er drei, vier Fuß weit eingedrungen. Da horte er ganz drinnen eine Stimme sprechen: „Du ungeratenes Kind!“ Da grub er mit vermehrter Kraft. Im Grunde der Höhle öffnete sich eine Tür. Der Alte schob Edelweiß hinaus und sagte: „Geh! Geh!“ Dann schloß sich die Felswand wieder. Schmollend sagte sie zu ihm: „Wenn du mich als deine Frau liebhast, warum hast du meinen Vater so behandelt? Was für ein alter Taoist mag das gewesen sein, der dir dies üble Werkzeug gab, mit dem du die Leute zur Verzweiflung bringst!“

Als der Jüngling seine Frau wiederhatte, da war er froh und getrost und ließ sie reden. Nur das machte ihn besorgt, daß der Weg so steil und die Heimkehr so schwer sei. Edelweiß brach zwei Zweige ab; jedes setzte sich auf einen, da wurden Pferde daraus, und im Fluge ging’s davon. Im Augenblick waren sie zu Hause.

Sieben Tage hatte man den Jüngling schon vermißt. Als er sich von dem Knecht getrennt hatte, hatte der ihn vergebens gesucht. Dann war er heimgegangen und hatte es der Mutter gesagt. Die hatte Leute ausgesandt nach

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 341. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_341.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)