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Die Familie Siä hat eine große Nachkommenschaft. Die Leute nennen sie Froschmännchen. Nahestehende wagen nicht den Namen zu brauchen, aber Fernerstehende rufens ihnen nach.


97. Abendrot

Am fünften des fünften Monats wird am Yangtsekiang das Drachenbootfest gefeiert. Man höhlt aus Holz einen Drachen aus, malt ihm den Schuppenpanzer auf und schmückt ihn mit Gold und bunten Farben. Ein geschnitztes, rotes Geländer umgibt das Schiff, Segel und Flaggen sind aus Seide und Brokat. Das Hinterteil des Schiffes heißt Drachenschwanz. Es ragt über zehn Fuß hoch empor. Daran ist an einem Tuch ein Brett gebunden, das im Wasser schwimmt. Auf dem Brette sitzen Knaben, die schlagen Purzelbäume, stehen Kopf und machen alle Arten von Kunststücken. So nahe am Wasser ist die Gefahr zu ertrinken groß; deshalb ist es Sitte, daß, wenn man einen solchen Knaben erwirbt, man zuvor seinen Eltern Geld gibt, ehe man ihn abrichtet. Fällt er dann ins Wasser und ertrinkt, macht man sich weiter keine Gewissensbisse. Weiter im Süden ist die Sitte insofern etwas anders, als man statt der Knaben schöne Dirnen nimmt.

In Dschen-Giang lebte eine Witwe Dsiang. Deren Sohn hieß Aduan. Mit sieben Jahren besaß er eine außerordentliche Geschicklichkeit, und keiner der andern Jungen kam ihm gleich. Mit seinem Rufe wuchs der Preis. So kam es, daß man ihn mit sechzehn Jahren noch immer benutzte.

Eines Tages aber fiel er unterhalb der Goldinsel ins Wasser und ertrank. Er war der einzige Sohn seiner Mutter. Die beweinte ihn, und damit war’s getan.

Aduan aber wußte nicht, daß er ertrunken war. Es kamen ihm zwei Männer entgegen, die ihn mit sich führten.

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_325.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)