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zu der Dienerin: „Dieser Herr hat blitzende Diebsaugen.“ Die Blume ließ sie niederfallen. Voll Sehnsucht nahm er sie an sich; verlorenen Sinnes, voller Unruh kam er heim. Dort barg er seine Blume unter dem Kissen und entschlummerte.

Von da an sprach er nichts und aß auch nichts mehr, recht zur Sorge seiner Mutter. Die opferte und betete für ihn; aber er wurde schmal und kam von Kräften. Wohl gab der Arzt ihm Arznei, das Böse zu vertreiben; doch da verlor er sich erst recht.

Zufällig kam da einmal Wu, und den beauftragte die Mutter, auszuforschen, was denn sei. Als Wu zum Bett des Kranken kam, entrollten dem bei seinem Anblick Tränen. Wu ging herzu und sprach beruhigend auf ihn ein, bis er den ganzen Sachverhalt erzählte. Wu lächelte: „Du bist in deinem Kopf auch gar zu närrisch. Die Erfüllung deines Wunsches ist nicht schwer. Ich werde nach ihr fragen. Wenn sie so zu Fuß dort vor dem Dorf herumspazierte, ist sie kaum aus vornehmer Familie. Ist sie nicht verlobt, so löst sich sicher alles noch zu allgemeinem Wohlgefallen. Andernfalls – denk ich – für gute Gaben wird sie wohl zu deinem Willen sein. Du denk jetzt nur an dein Befinden. Das andre aber überlasse mir!“ Als Wang das hörte, mußte er wohl gegen seinen Willen wieder lächeln. Wu ging fort und berichtete der Mutter. Dann begann er diesem Mädchen nachzuforschen. Doch umsonst. Er kam auf keine Spur, so daß die Mutter Wangs sehr traurig wurde und sich keinen Rat mehr wußte. Aber ihres Sohnes Antlitz blieb nun heiter seit den Worten Wus; er konnte sogar wieder essen. Eines Tages kam sein Vetter wieder, und er fragte ihn, was er entdeckt habe. Der hub mit Lügen an: „Gefunden hab ich sie. Sie ist die Tochter meiner Tante, also eine Base auch von dir. Sie ist noch nicht verlobt. Wenn auch im Hinblick auf eine Vermählung Raum für mancherlei Bedenken sein mag wegen eurer nahen Blutsverwandtschaft, ihre Eltern werden sicher

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_308.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)