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Als Herr Hü sie nun fragte, was ihr fehle, da erzählte sie ihm weinend ihre ganze Geschichte. Herr Hü sprach ihr Mut zu.

„Du mußt jetzt nicht mehr weinen,“ sagte er. „Willst du meine Pflegetochter werden, so wollen wir schon für dich sorgen.“

Goldtöchterchen verneigte sich dankend. Frau Hü aber befahl den Mägden, ihr statt der nassen Kleider andere zu geben und ihr eine Lagerstatt zu bereiten. Den Dienern wurde eingeschärft, daß sie sie Fräulein nennen mußten und keinem Menschen etwas von dem Vorfall sagen durften.

So ging die Reise weiter, und nach ein paar Tagen trat Herr Hü sein Amt an. Wu We, wo Mosü Standesbeamter war, gehörte zu seinem Amtsbereich, und dieser kam denn auch, um seinen Vorgesetzten zu besuchen. Als Herr Hü den Mosü sah, da dachte er bei sich: „Wie schade, daß ein so begabter Mensch sich so herzlos benommen hat.“

Als einige Monate vorüber waren, sprach Herr Hü zu seinen Untergebenen: „Ich habe eine Tochter, die ist recht hübsch und gut, und ich möchte einen Schwiegersohn, der in meine Familie einheiratet. Wißt ihr niemand, der sich dafür eignet?“

Die Untergebenen wußten alle, daß Mosü jung war und seine Frau verloren hatte. So empfahlen sie denn einmütig ihn.

Herr Hü antwortete: „Ich habe auch schon an den Herrn gedacht, doch ist er jung und hat es rasch zu etwas gebracht; ich fürchte, er hat sich höhere Ziele gesteckt und ist nicht gewillt, als Schwiegersohn in meine Familie einzuheiraten.“

„Er ist von Hause aus arm“, erwiderten die Leute, „und ist Euer Untergebener. Wenn Ihr ihm diese Freundlichkeit erweisen wollt, so wird er sicher freudig damit einverstanden sein und sich nicht an dem Einheiraten stoßen.“

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_293.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)